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Das Geistliche Wort | 12.10.2025 | 08:40 Uhr
Ein Trostlied des hl. Franziskus von Assisi
Es gibt Texte, die richten sich zwar an eine bestimmte Menschengruppe, aber sie haben dennoch all denen etwas zu sagen, die das Leben suchen. Genau so einen Text hat der heilige Franziskus von Assisi vor 800 Jahren verfasst. Er hat ihn der heiligen Klara von Assisi gewidmet - und ihren Mit-Schwestern. Und diese „Worte mit Melodie“, wie der Text manchmal genannt wird, möchte ich Ihnen heute nahe bringen. Ich bin Schwester Ancilla Röttger aus dem Klarissenkloster in Münster und wünsche Ihnen einen guten Morgen.
Musik 1: Angelo Branduardi, Audite Poverelle
Vor 8oo Jahren, also im Jahr 1225, geschah so manches, was
bis heute lebendig geblieben ist. Im Winter 1224 / 1225 lag Franziskus schwer
krank in einer Hütte bei San Damiano, dem Ort, an dem die heilige Klara und
ihre Schwestern lebten. Und als Antwort auf eine tröstende Erfahrung Gottes in
einer für ihn sehr dunklen Zeit schrieb er den Sonnengesang – soviel ich weiß,
das erste Volkslied in altitalienischer Sprache. Weltweit bekannt ist es bis heute. Kurze Zeit später schrieb er noch
ein Lied. Das allerdings ist weniger bekannt. Es ist das besagte Trostlied, das vor allem
den Schwestern Klaras galt. Es lautet so:
Hört, kleine Arme, vom Herrn berufen,
die ihr aus vielen Gebieten und Gauen seid vereint:
lebt immer so in der Wahrheit,
dass ihr im Gehorsam sterbt.
Schaut nicht nach dem Leben draußen!
Denn jenes nach dem Geiste ist besser.
Ich bitte euch in großer Liebe:
übt Sorgfalt mit den Almosen, die der Herr euch gibt!
Jene, die von Krankheiten beschwert sind,
und die anderen, die sich für sie abmühen:
ihr alle, harret aus in Frieden!
Denn um teuren Preis werdet ihr verkaufen solche Müh’,
da jede im Himmel gekrönt wird als Königin – mit der Jungfrau Maria.
Vielleicht klingen die Zeilen zunächst befremdlich. Die Worte sind immerhin 800 Jahre alt. Aber: Sind sie so weit entfernt von unseren Alltagserfahrungen? Gehen wir das Lied doch einmal durch:
Hört, kleine Arme, vom Herrn berufen, / die ihr aus vielen Gebieten und Gauen seid vereint.
Nicht nur im Kloster, sondern gerade auch in unserer
Gesellschaft leben Menschen, die aus den unterschiedlichsten Kulturen stammen –
„aus vielen Gebieten und Gauen“, wie es im Lied heißt. Um allerdings vereint zu
sein, braucht es eine gemeinsame Zielrichtung. Für Franziskus war die Richtung
klar: vom Herrn berufen, um das Leben zu suchen. Die Richtung vieler
Menschen, die in unser Land kommen, ist auch
klar: Sie fliehen
aus lebensfeindlichen
Situationen um bei uns das Leben zu suchen. Dafür genügt aber nicht einfach,
füreinander Unterkünfte zu schaffen und Lebensraum zu öffnen. Jeder braucht
auch, dass er oder sie selbst mitgestalten kann an der neuen Lebenssituation
und darin ein Angesehen-Werden in seiner persönlichen Würde erfährt. Nur wenn
er sich wahrhaftig als Mensch wiederfindet, kann er das neue Leben auch
annehmen. Der zweite Teil dieser ersten Strophe des Liedes, bringt es so auf
den Punkt:
Lebt immer so in der Wahrheit, / dass ihr im Gehorsam sterbt.
Nun ist es mit der Wahrheit heutzutage gar nicht so einfach. Wem können wir glauben? Was ist wahr, was manipuliert? Wann ist es gar eine Halluzination der Künstlichen Intelligenz, die heute mehr und mehr den Alltag erobert? Durch manipulierte Wahrheiten wird viel Unheil angerichtet: Menschen werden gegeneinander aufgehetzt, manche verteufelt, manche Menschen werden für Ereignisse verantwortlich gemacht, mit denen sie gar nichts zu tun haben. Aus unserer jüngsten Geschichte wie aus vergangenen Jahrhunderten sind solche Verhaltensweisen bekannt. Mich erschreckt, dass sie uns heute wieder einholen.
Musik 2: David Orlowsky, Sababa
Lebt immer so in der Wahrheit, / dass ihr im Gehorsam sterbt: Die Frage nach der Wahrheit ist eine existentielle Frage desjenigen Menschen, der aufrichtig nach dem Leben sucht. Und da kommt der zweite Halbsatz dieses Trostliedes des Heiligen Franz in den Blick: das Ziel des Lebens in der Wahrheit ist das Sterben im Gehorsam. Ich gebe zu: das Wort ist sicher geläufiger in einem klösterlichen Leben, wie ich es führe, als auf den Straßen von Münster, z.B.. Aber: Gehorsam – das bedeutet ja nicht, so zu funktionieren, wie Machthaber über uns verfügen. Gehorsam meint vielmehr: verbindlich hören, mit anderen gemeinsam hinhören, aufeinander hören. Gerade Menschen, die sich im politischen Leben dem Druck der Lügen widersetzen, werden für uns zu Zeugen der Wahrheit. Denken wir an Adam Michnik, polnischer Publizist und ehemaliger Dissident. Sein Biograph sagt von ihm, er sei den Machthabern nie so gefährlich gewesen wie in den Zeiten, als er im Gefängnis saß. Er stellte sich permanent die Frage nach der Wahrheit. Und auch Alexej Nawalny ist für mich ein solcher Zeuge der Wahrheit, die er in der Person Jesu Christi und seinem Evangelium gefunden hat. Jesus Christus sagt von sich selbst: Ich bin die Wahrheit. Die eigenen Werte im Evangelium Jesu zu verankern und seinen Spuren zu folgen, ist für Christinnen und Christen eine sichere Fährte der Wahrheit.
Das verweist auf den nächsten Vers
des Liedes:
Schaut nicht nach dem Leben
draußen! Denn jenes nach dem Geiste ist besser!
Wohin wir schauen, in diese Richtung verändern wir uns unweigerlich. Viele geistliche Lehrer der Vergangenheit haben gesagt: Wir werden, was wir anschauen. Die jüdische Philosophin Simone Weil soll einmal gesagt haben
„Es ist eine heute von allen gründlich
verkannte Hauptwahrheit des Christentums, dass das, was rettet, der Blick ist.[1]“
An einigen Stellen des Lukas-Evangeliums wird deutlich, dass Barmherzig-Sein beginnt im Blick, im Anschauen des anderen, nicht erst im Tun. So auch bei der Bekehrung des heiligen Franziskus: in der Begegnung mit dem Aussätzigen sah er plötzlich denjenigen, vor dem er sich bis dahin geekelt hatte, anders als je zuvor. Wohin also schauen? Ganz sicher will Franziskus hier nicht das Leben außerhalb eines Klosters dem innerhalb des Klosters gegenüber stellen. Es ist ja gerade die Zeit, da er daran denkt, seine Brüder in alle Welt zu schicken.
Musik 3: David Orlowsky, Derwisch
Schaut nicht nach dem Leben draußen! Denn jenes nach dem Geiste ist besser!
Selbst innerhalb des Klosters gibt es das „Leben draußen“.
Die digitalen Medien machen es möglich, dass auch im klösterlichen Leben jemand
viel Zeit draußen verbringen kann. Draußen, das ist äußerlich, das ist Leben an
der Oberfläche ohne tiefere Wurzeln. Wir können auf diese Weise unendlich viele
Informationen anschauen. Aber
schon
allein wegen ihrer Vielzahl
haben sie gar
keine Chance, uns tiefer zu treffen. Manche suchen Sicherheit in möglichst
vielen Nachrichten, von denen sie noch nicht einmal wissen, ob sie wahr sind:
was ich weiß, kann mich nicht mehr so schnell aus der Bahn werfen. Und dabei
merke ich gar nicht, dass ich längst meine Bahn verloren habe. Der
oberflächliche Blick nach draußen lenkt ab vom Wesentlichen. Der Blick auf das
Leben des Geistes konzentriert sich nach innen, dort wo unsere Werte verankert
sind. Es gibt ein sehr schönes Wort der heiligen Klara, das sie der heiligen
Agnes von Prag in einem Brief schreibt:
Stelle Dein Denken vor den Spiegel der Ewigkeit,
stelle Deine Seele in den Abglanz der Herrlichkeit,
stelle Dein Herz vor das Bild der göttlichen Wesenheit,
und forme Deine ganze Person durch die Beschauung in das Bild seiner Gottheit um (3 Agn 12-13).
Der Blick auf das Leben des Geistes ist für mich eine Grundhaltung des kontemplativen Lebens, die auch jemand einnehmen kann, der nicht im Kloster lebt. Kontemplativ sein – das bedeutet für mich die Welt mit allem, was sie in sich birgt, so lange und so tief anzuschauen, bis ich auf ihrem Grund Züge des Antlitzes Gottes erkenne oder erahne. Was ich sehe, vor den Spiegel der Ewigkeit zu stellen und mich verwandeln zu lassen von Gott, dem ich mich hinhalte. Es bedeutet für mich anderen so lange und so tief zuzuhören, bis ich auf dem Grund der Worte die Stimme Gottes erahne. Und das alles beginnt im Blick, den wir einander schenken. Gotthard Fuchs schließt seinen kleinen Artikel in Christ in der Gegenwart „In wessen Blick?“ mit einem Zitat von Hilde Domin:
„Dein Ort ist, / wo Augen dich ansehen. / Wo Augen sich treffen, / da entstehst du.“ Genau das ist nicht der Blick auf das Leben draußen, sondern auf das des Geistes.
Musik 4: David Orlowsky, Chronos
Franz von Assisis Lied an Klara und ihre Mitschwestern fährt wie folgt fort:
Ich bitte euch in großer Liebe: übt Sorgfalt mit den Almosen, die der Herr euch gibt!
Der Umgang mit den Almosen scheint Franziskus sehr wichtig
gewesen zu sein. Wie gehe ich mit Geschenken um? Nichts anderes sind Almosen.
Mit dem Wort verbinden wir Gaben, die wir denen zukommen lassen, die zu den
sozial Schwachen gehören und die sie zum Leben brauchen. Ja, dazu gehören auch
wir:
Auch in unserem Klarissenkloster in
Münster sind wir auf Almosen angewiesen.
Almosen sind einfach Geschenke der Liebe, die
niemand verdient, sondern die eine freie Tat des anderen sind. Wir alle leben
von Geschenken und insofern von Almosen, egal wieviel Geld jemand verdient. Es
gibt Dinge, die niemand kaufen kann wie Beziehung, Freundschaft, Liebe,
Angenommen- und Angeschautsein. Auch Versöhnung und Frieden sind Almosen der
Liebe. Die Bitte des Franziskus zielt auf größere Achtsamkeit im Umgang mit
unserem Leben, das erst durch diese Almosen lebendig werden kann. Dankbarkeit
ist die Antwort darauf.
Der heilige Franziskus weiß um die Beschwernisse des Lebens, wie sie Krankheit und Alter mit sich bringen. Er selbst war oft auf die Hilfe seiner Brüder angewiesen. Und in der Zeit, in der er dieses Lied schrieb, war er hilflos in seiner Krankheit. Darum spricht er aus Erfahrung:
Jene, die von Krankheiten beschwert sind, / und die anderen, die sich für sie abmühen: / ihr alle, harret aus in Frieden!
Krankheit beschwert, sie geht oft mit Kraftlosigkeit zusammen. Und in diesen Erfahrungen der Ohnmacht braucht es Geduld. Und auch hier beginnt der Friede in uns selbst. Wer dahin findet, mit sich und seiner Situation versöhnt zu sein, der wird eine Quelle des Friedens sein. Das wirft schon Lichtglanz auf den letzten Vers des Liedes:
Denn um teuren Preis werdet ihr verkaufen solche Müh*, da jede im Himmel gekrönt wird als Königin – mit der Jungfrau Maria.
Dass wir unsere Mühe verkaufen, ist ein Bild, das auch mir nicht so geläufig ist. Doch bedeutet ja verkaufen nichts anderes als das, was uns wertvoll ist, gegen einen anderen Wert einzutauschen. Das Ausharren im Frieden ist harte Arbeit. Das wird jeder bestätigen können, der mit der Pflege eines Angehörigen zu tun hat oder selber Pflege braucht. Eine Arbeit, die zwar aus Liebe getan wird, die aber dennoch Arbeit bleibt. Der Frieden ist einerseits Geschenk, aber vielleicht auch ein wenig der Verkaufswert, ohne dass wir unseren Einsatz berechnen wollen.
Der letzte Vers spricht von der Krönung als Königin, in der damaligen Zeit ein Bild von Macht, Erhebung über andere, größere Freiheit. Nur, wenn alle gekrönt werden, wird niemand über die anderen erhöht, sondern alle werden auf eine andere Ebene gehoben, bleiben aber in Augenhöhe – und das auch noch mit der Jungfrau Maria. Auch in einem Trostlied vergisst Franziskus nicht, dass kein Mensch über den anderen erhoben werden sollte.
Musik 5 (Darin): Angelo Branduardi, Audite Poverelle
Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass dieses kleine Lied des heiligen Franziskus nicht nur Klara und ihre Schwestern tröstet, sondern auch Ihnen allen etwas Licht ins Herz schenkt an diesem Sonntag .Ihre Sr. Ancilla Röttger aus Münster.
[1] (CiG 36, 7. September 2025, 77. Jg, S. 4).