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Kirche in WDR 4 | 29.09.2025 | 08:55 Uhr
furchtlos
Guten Morgen.
Das Bild hängt in Washington in der National Portrait Gallery und hat die Nummer 79.171. Noch – hängt es da ...
Die Museen der amerikanischen Hauptstadt haben Post gekriegt
von Präsident Trump. Sie sollen ihre Ausstellungen rechtzeitig zum 250.
Jahrestag der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten auf die Größe der Nation
und den Glanz ihrer Geschichte trimmen.
Beeindruckend ist Bild Nummer 79.171 nicht. Es zeigt ein Männlein mit wildem Bart, gestützt auf einen Stock, mit dünnen Beinchen und weit aufgerissenen Augen.
Es zeigt: Benjamin Lay. Der war nur einmeterdreißig groß, körperbehindert und galt als verrückt. Aus England war er über die Karibik nach Philadelphia in die USA ausgewandert. Dort wurde kurze Zeit später die Unabhängigkeit erklärt.
Lay ist Kaufmann, Farmer und Schriftsteller und – so ein Biograph – ein „furchtloser Zwerg“. Seit er auf Barbados die Schrecken der Sklaverei gesehen hat, weigert er sich Werkzeuge, Stoffe, Lebensmittel zu nutzen und zu essen, die durch Sklavenarbeit entstanden sind – und das ist damals so ziemlich alles. Er wird zum Selbstversorger, macht alle Arbeit selbst, die sonst Sklaven tun.
Aber Lay protestiert nicht nur persönlich. Ständig nervt er öffentlich die frommen und freien Siedler mit dem leidigen Sklaventhema, stört sogar gottesdienstliche Versammlungen, vermischt – wie man ihm sicher vorgeworfen hat - Politik und Religion.
Einmal stürmt er als Soldat verkleidet das Jahrestreffen seiner Kirche und zerfetzt mit dem Schwert eine Bibel, die er mitgebracht hat. Aus der spritzt scheinbar sogar Blut auf die fassungslosen Leute. Lay hat das heilige Buch vorher mit einer Blase voll roter Farbe präpariert.
„Möge Gott so das Blut derer vergießen, die ihre Mitgeschöpfe versklaven“ – soll er ausgerufen haben.
Nein, ich will mir keinen Gott vorstellen, der auf Gewalt mit Gewalt antwortet. Aber noch weniger einen, der taub und stumm bleibt, wo der Glaube faulen Frieden mit Gewalt, Unfreiheit und Rassismus schließt und wo sogar Jesus und die Bibel als Alibi dafür herhalten sollen.
„Gott forscht nach, wer gewalttätig Blut vergossen hat. Gott … vergisst den Schrei der Gequälten nicht“, heißt es in der Bibel im Buch der Psalmen (Psalm 9,13). Das will ich nicht vergessen und mich daran erinnern, wo ich gleichgültig werde gegen offensichtliches Unrecht. Und dann, wo nötig auch andere erinnern.
An Benjamin Lay imponiert mir vieles. Seine verrückte Hartnäckigkeit. Die Konsequenz mit der er vor der eigenen Tür kehrt. Seine wilde Hoffnung auf Gott. Und dass er Menschen zutraut, umzukehren und es besser zu machen.
Das Bild 79.171 hat einst der Frau von Benjamin Franklin gehört, einem Gründervater der Vereinigten Staaten. Der hat mit an der Unabhängigkeitserklärung geschrieben, wo es heißt: ‚Alle Menschen sind gleich geschaffen‘. Aber obwohl Benjamin Franklin selbst Sklavenhalter ist, werden in seinem Verlag die Schriften von Benjamin Lay gegen die Sklaverei gedruckt.
Gott sei Dank für Mächtige, die es aushalten und sogar wichtig finden, wenn ‚furchtlose Zwerge‘ die blutende Wunde offenhalten zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen unseren Worten und unseren Taten. Nur so kann sie verbunden werden.
Einen heilsamen Herbst wünscht Ihnen
Ihr Jan-Dirk Döhling aus Schwerte.
Quellen:
Marcus Rediker, The Fearless Benjamin Lay: The Quaker Dwarf Who Became the First Revolutionary Abolitionist, With a New Preface and Afterword, Boston (MA) 2018.
https://www.si.edu/object/benjamin-lay%3Anpg_NPG.79.171 (zuletzt abgerufen am 31.08.25)
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze