Beiträge auf: wdr4
Kirche in WDR 4 | 30.09.2025 | 08:55 Uhr
Sieh genau hin
Guten Morgen.
Sie sehen irgendwie zersaust aus, die Vögel auf den Zeichnungen und Holzschnitten von Otto Pankok. Kantig oder wie ausgefranst. Ein Bild von einem Hahn heißt schlicht: „Der Gerupfte“.
Auf Pankoks Landschaftsbildern schieben sich dicke Wolken über einen tiefen Himmel. Wind verdreht die Bäume, reißt an den Büschen. Es sieht nach Regen aus.
Die Menschen auf seinen Bildern sind oft sehr alt oder sehr jung, meist Frauen und Kinder, ärmlich gekleidet. Die Gesichter wie verbeult. Die Augen und Blicke sind oft wild und erschrocken – als suchten sie etwas und könnten‘s nicht finden.
Auch die Menschen auf Pankoks Bildern sind gerupft, zerzaust und verdreht vom Leben und von der Welt um sie her.
Der Maler, Graphiker und Bildhauer Otto Pankok, ist Ende des 19. Jahrhundert in Mühlheim an der Ruhr geboren, lebt später im Münsterland und in Düsseldorf. Früh im ersten Weltkrieg wird er so schwer verletzt, dass man ihn schon für tot hält. Er überlebt. Und erlebt auch den Zweiten Weltkrieg mit. Vielleicht ist er deshalb so strikt gegen Aufrüstung und Wiederbewaffnung. „Christus zerbricht das Gewehr“ heißt eines seiner bekanntesten Bilder und auf dem tut Jesus genau das. Er geht nach vorn und zerbricht dabei mit dem Schienbein den Lauf eines Gewehrs. Kraftvoll und fast einfach sieht das aus. Dabei hat Jesus den Kopf zur Seite geneigt. Diese Kopfhaltung erinnert an Bilder und Figuren von dem gekreuzigten Jesus. Was für ein Bild: Der leidende, gequälte Jesus geht nach vorn, und der stählerne Lauf der Waffe gibt einfach nach, zerbröselt, als sei er eigentlich nur ein längst schon morsches Stöckchen. Ach wär‘ es doch endlich so weit.
Früh schon setzt sich Otto Pankok für Sinti und Roma ein; malt ihr Leben und Leiden. Die Nationalsozialisten verfolgen Sinti und Roma und erklären Pankoks Kunst als entartet. Mit seiner Frau Hulda versteckt Pankok einen Malerkollegen und dessen jüdische Frau. Dafür werden sie von der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als Gerechte unter den Völkern geehrt.
Als Mensch und als Künstler hat sich Otto Pankok an die Seite der Gebeutelten und Verfolgten gestellt. Er hat mit seinen Bildern die am Rand und im Schatten sichtbar gemacht.
Düster oder gar depressiv finden manche seine Werke. Aber es lohnt sich ein zweiter Blick darauf:
„Wenn du die Schönheit der Armut nicht siehst, wenn du im verachteten Tier und im letzten erniedrigten Menschen nicht Gott siehst, schlag zu das Buch.“ (1)
– so schreibt es Otto Pankok einmal im Vorwort für ein Buch – und das meint wohl nichts anderes als:
Schlag dir aus dem Kopf, was du zu wissen meinst, über die da unten, die da hinten und die da draußen. Schlag die Augen auf. Sieh genau hin, sieh neu und lange hin, auch wo du lieber wegschauen magst. Es gibt viel zu entdecken, wo du meinst, schon alles gesehen zu haben. Würde und Schönheit gibt es zu entdecken und – nicht zuletzt: Gottes Kraft, die – wie es einmal in der Bibel heißt – „in den Schwachen mächtig ist“ (Die Bibel, 2. Korinther 12, 9)
(Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5: )
Einen guten Tag wünscht Ihnen
Ihr Jan-Dirk Döhling aus Schwerte.
Quellen:
(1) Zitiert nach: Herbert Fendrich, Guter Hoffnung, in: Bibel heute 156 (2003), Seite 22.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze