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Kirche in WDR 4 | 09.10.2024 | 08:55 Uhr
Das glaubt mir keiner
Im
dichten Neben kämpfe ich den Berg rauf
und sehe: Nichts. Nichts außer den nächsten halben Meter Weg vor mir. Alles
andere ringsherum ist grau. Also wandere ich weiter, immer nach oben, immer dem
Franziskusweg folgen, irgendwann werde ich schon ankommen, trotz Nebelwand. Das
liegt schon ein paar Jahre zurück und ich werde diese Wanderung
wohl nie vergessen. Ich war mit einer Gruppe
für einige Tage in Assisi in Italien. Wir wollten uns vor Ort mit dem Heiligen
Franz von Assisi beschäftigen. Damit, was ihm wichtig war und was davon für uns
heute noch bedeutsam sein könnte. An diesem Tag wollten wir zu dem Ort, an den
sich der Heilige Franziskus immer wieder zurückgezogen haben soll. Eine
Einsiedelei mitten auf dem Berg. Alle anderen in der Gruppe hatten eine deutlich
bessere Kondition als ich. Also war ich schon mal vorgelaufen. „Wir sehen uns
dann an der Carceri!“
sage ich. So heißt
die Einsiedelei. Mein Kollege, der schon öfter da war, beschreibt mir den Weg: „Bei
der Carceri gibt es eine Art Waldkapelle, einen Steinaltar und Bänke mitten im
Wald. Da können wir dann Gottesdienst feiern. Kannste gar nicht übersehen“ Und
ich denke: Na dann kann ja nichts schiefgehen bei meiner Premiere. Absolut
sicher fühle ich mich.
Alle paar Meter zeigen mir kleine Wegzeichen an, dass ich hier richtig bin. Und überhaupt: Es geht ja eh nur geradeaus. So lange ich diese Kapelle nicht sehe, heißt es weiterlaufen. Ich quäle mich also im dichten Neben den Berg rauf, als irgendwann mein Handy piept: „Wo bist du? Wir sind an der Carceri!“ Mein Kollege. Ich rufe ihn an und sage: „Ups, da bin ich wohl zu weit gelaufen. Ich kehre um!“
Den steilen Weg zurück zu kraxeln, dauert eine ganze Zeit, und irgendwann denke ich, ich spinne: Vor mir taucht ein großer Parkplatz auf. Der füllt sich mehr und mehr mit reichlich Autos. Viele Menschen in bunten Jacken stehen da. Der Nebel hat sich gelichtet. Und dort, wo vor 45 Minuten noch nichts und niemand war, herrscht jetzt reges Treiben. Sie alle mussten sich in der letzten halben Stunde auf dem Weg gemacht haben, angekommen sein, während ich weiter oben im Nebel hing.
„Das glaubt mir keiner“ denke ich. „Wenn ich denen sage, dass ich diesen Ort mit all seinen bunten Schildern beim Vorbeigehen nicht gesehen habe, bringen sie mich vermutlich in eine Augenklinik.“ Ich hatte Glück: Meine Gruppe hat mir geglaubt. Aber schon mit Stirnrunzeln. Denn jetzt, wo die Sonne sich durchgekämpft hatte, war all das wirklich nicht zu übersehen.
Und dabei war ich mir so sicher! Für mich stand fest: Solange ich nichts sehe, kann da nichts sein. Wenn ich an dieses Erlebnis denke, frage ich mich: Gibt’s das wohl öfter, dass ich vernebelt unterwegs bin? Vermutlich.
Der Heilige Franziskus hat ein Gebet geschrieben, das „Sonnengesang“ heißt. Darin lobt er Sonne, Mond und Sterne, Wind, Wasser, Wolken, Feuer und die ganze Erde. Sogar den Tod. Er nennt all das Bruder und Schwester. Unsere engsten Verwandten also. Auch „jegliches Wetter“ lobt er und so gehört der Nebel für Franziskus wohl auch zur Familie. Und seit dieser Wanderung weiß ich: Er ist ein echter Verpackungskünstler. Egal, wie grau die Verpackung aussieht: rechne immer mit dem, was Du noch nicht sehen kannst. Mit der Sonne hinter der Nebelwand. Mit Menschen in der Einsamkeit. Ja sogar mit Lebendigkeit nach dem Tod.