Beiträge auf: wdr5
Das Geistliche Wort | 05.10.2025 | 08:40 Uhr
Gott sei Dank
Autorin: Der Altar ist festlich geschmückt. Eine farbenfrohe Fülle leuchtet mir entgegen: orange Kürbisse und rote Äpfel, Körbe gefüllt mit Kartoffeln und Lauch. Dazwischen Gläser mit Honig und Marmelade, bunte Wiesenblumen und gebundene dicke goldene Ähren. Mittendrin liegen ein großer Laib Brot und Weintrauben. Die Küsterin und ein paar Ehrenamtliche haben auch dieses Jahr wieder reichlich Erntegaben zusammengetragen. Sie stehen sinnbildlich für „alle guten Gaben“, die uns gegeben sind. Sie verleihen dem alljährlichen Gott-sei-Dank in unserer Kirche einen schönen Rahmen und öffnen auch mir die Augen für das, was mir geschenkt ist. Erntedank feiern wir Christinnen und Christen traditionell am 1. Sonntag im Oktober – also heute. Alle Jahre wieder ein großes „Gott sei Dank“ im Kirchenjahreskalender.
Das traditionelle Fest boomt. Viele Landwirte, Vereine und Kirchengemeinden bereiten Märkte und Prozessionen vor, mancherorts sind ganze Stadtteile auf den Beinen. Da ziehen Festzüge mit reichgeschmückten Wagen durch die Straßen, Ernteköniginnen werden gekürt, und der Gottesdienst wird zum Event.
Toll! Und zugleich denke ich: Selbstverständlich ist nichts, wenn ich an diesem Erntedank auf die vergangenen Monate blicke. Auch die Ernte ist nicht selbstverständlich. Mildere Winter, heißere Sommer und extreme Wettereignisse – der Klimawandel hinterlässt längst seine Spuren, auch auf den Äckern. Landwirtinnen und Landwirte nehmen deutliche Veränderungen wahr. Wo früher mal eine oder zwei Wochen Hitze waren, sind es jetzt drei, vier, gar fünf Wochen. Das sind neue Phänomene, auf die sie reagieren müssen. Zum diesjährigen bundesweiten Ernteauftakt erklärte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, dass man nun auf widerstandsfähigere Sorten setze und die Fruchtfolgen erweitert habe. (1) Mancherorts werden vor der Aussaat die Felder mit moderner Computer- und Satellitentechnik gescannt. So lässt sich bestimmen, in welchen Bereichen der Acker besonders fruchtbar ist. Vollständig kompensieren lassen sich die Ernteausfälle mit diesen Maßnahmen aber nicht.
Selbstverständlich ist nichts. Auch die Mühe derer, die für die Ernte sorgen, ist nicht selbstverständlich. In all dem, was meinen Teller und meinen Magen füllt, steckt nach wie vor viel harte Arbeit von Menschen, die mit Know-how, Leidenschaft und Fingerspitzengefühl ackern, säen, pflegen und ernten.
Selbstverständlich ist nichts. Auch nicht, dass die Saat aufgeht. Eine gute Ernte bleibt auch bei bester Technik unverfügbar. Weil sie mehr braucht als unserer Hände Arbeit und unserer Menschen Werk. Davon singen wir zu Erntedank in unseren Gottesdiensten. Das vielleicht bekannteste Lied ist „Wir pflügen und wir streuen“. Die erste Strophe geht so:
Musik 1: „Wir pflügen und wir streuen“,
Komponist: Matthias Claudius; Interpreten: Margret Birkenfeld, Wetzlarer Jugendchor & Schulte & Gerth Studiochor; Album: Wer nur den lieben Gott lässt walten; Label: Gerth Medien; LC: 13743
Sprecher (overvoice):
Wir pflügen und wir streuen / den Samen auf das Land,
doch Wachstum und Gedeihen / steht in des Himmels Hand:
der tut mit leisem Wehen / sich mild und heimlich auf
und träuft, wenn heim wir gehen, / Wuchs und Gedeihen drauf.
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!
Autorin: „Wir pflügen und wir streuen“ – Dem Liedtext liegt ein Bauernlied von Matthias Claudius zugrunde. Es stammt aus dem Jahr 1783 und berichtet, wie ein Bauer im großen Kreis sein fünfzigjähriges Hofjubiläum feiert. Es kommt dabei zu kontrovers geführten Gesprächen über Religion und Politik, an deren Ende die Bauern ein Lied singen, in dem sie Gott danken. „WIR pflügen und WIR streuen den Samen auf das Land, …“ das ist das eine, was singen, aber das andere eben auch „… doch Wachstum und Gedeihen steht in des HIMMELS Hand.“
Ich glaube: Es braucht Gottes Segen, damit aus unserer Arbeit etwas erwächst. Wir können das Menschenmögliche tun, aber zum guten Gelingen braucht es Gott. Es braucht seine Oberhand über unsere Hände Werk. Dass wir uns das gefallen lassen, dazu ermuntert das Lied. Für mich heißt das, Demut einzuüben. Mir einzugestehen, dass ich mein Leben nicht allein selbst in der Hand habe. Für aufgeklärte Köpfe und stolze Herzen ist das gar nicht so leicht, in diese Haltung hineinzufinden. Demut, die will gelernt und verinnerlicht sein: Von Gott kommt alles her.
Musik 1: „Wir pflügen und wir streuen“,
Sprecher (overvoice):
Er sendet Tau und Regen und Sonn und Mondenschein,
er wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein
und bringt ihn dann behende in unser Feld und Brot:
es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.
Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!
Autorin: Dankbarkeit und Demut. Meine Blicke gehen noch einmal auf den reich geschmückten Erntealtar. Wir feiern Erntedank und wissen dabei, dass viele Menschen weltweit, auch in unserer Nähe, in sozialer und materieller Armut leben. Ängste und Zukunftssorgen bestimmen den Alltag von so vielen.
Erntedank stellt jedes Jahr wieder die Frage, wie es denn aussieht mit der Verteilung der Gaben und Güter in unserem Land, in unserer Welt. Die leuchtenden Gaben auf dem Altar lenken meinen Blick nicht nur zu Gott hin, sondern weiten ihn auch zu denen, die heute, anders als ich, wenig zu danken haben.
Im biblischen Buch des Propheten Jesaja, eines großen Propheten des jüdischen Volkes, heißt es:
Sprecher: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.“ (Jesaja 58,7-8)
Autorin: „Brich dem Hungrigen dein Brot.“ – Mit dieser Aufforderung spricht der Prophet Jesaja einzelne und die Gemeinschaft als Ganze an. Konkrete Not zu sehen und zu handeln. Die pensionierte Lehrerin Heidi Evers engagiert sich ehrenamtlich bei der Tafel in Düsseldorf-Gerresheim.
O-Ton Evers: Ich habe mich eigentlich immer schon
ehrenamtlich engagiert, wenn ich Zeit hatte. Und nach meiner Pensionierung habe
ich dann geguckt: Was kann ich tun? Und habe dann im Diakonischen Werk
gearbeitet, in der Beratung und dann auch im Kleiderladen. Und dann wurde bei
uns im Stadtteil eine Tafel eingerichtet und der Kleiderladen gleichzeitig
geschlossen. Dann sind wir komplett, das ganze Team vom Kleiderladen, zur Tafel
gegangen und haben dort geholfen, die mit aufzubauen.
Autorin: Heidi Evers ist eine von vielen, die andere kräftig unterstützen: in Tafelläden, Vesperkirchen, Suppenküchen, in Hilfen für wohnungslose Menschen, in Diakonie- und Kinderschutzläden, in denen es Kleidung und anderes für wenig Geld gibt. Der Dienst bei der Tafel hat Heidi Evers Blick geweitet. Durch ihr Ehrenamt ist sie auch dankbarer geworden. [06:40]
O-Ton Evers: Ich leb‘ seit 75 Jahren in Wohlstand und Frieden. Ich hab‘ immer genug zu essen. Ich hab‘ gesunde Kinder und Enkel, und ich finde, man kann ein bisschen was zurückgeben.
Autorin: Auch ihr Blick auf Lebensmittel hat sich bei Heidi Evers verändert.
O-Ton Evers: Seit ich bei der Tafel arbeite, ist mir bewusst geworden, wie viele Lebensmittel wir wegwerfen. Es ist wirklich unvorstellbar. Wir haben jedes Mal zwei große braune Tonnen voll mit Lebensmitteln, die wir aussortieren mussten, weil sie schimmelig oder schlecht waren. Alles andere wird sortiert und an die Leute weitergegeben. Und wenn unsere Kunden, das sind also etwa 180 Familien, wenn die durch sind, dann ist immer noch was übrig. Und das holen dann die Food-Sharer ab, sodass nicht so viele Lebensmittel verschwendet werden.
Autorin: Erntedank geht auch an der Tafel im Düsseldorfer Osten nicht spurlos vorüber, berichtet Heidi Evers.
O-Ton Evers: Zum Erntedank im letzten Jahr haben wir eine Schnibbelaktion gestartet. Das heißt, wir haben die gespendeten Gemüse mit allen Ehrenamtlern, die da waren, geschnibbelt und zerschnitten und haben zwei riesengroße Töpfe Suppe gekocht daraus. Und als dann unsere Gäste kamen, haben die sich total gefreut über die leckere Suppe. So sind also etwa 100 Familien sattgeworden.
Autorin: „Brich dem Hungrigen dein Brot“, sagt der Prophet Jesaja. Ja, das geht auch in Form einer leckeren Gemüsesuppe! Egal, ob Brot oder Suppe – die Ansage des Propheten ist klar: Dankbar für alles, was Gott dir schenkt, tu das, was die Not wendet und dem Leben dient!
Der
Prophet spricht zu Menschen, die aus dem Exil zurückgekehrt sind und nun vor
dem Wiederaufbau ihrer Gesellschaft stehen. Selbstverständlich ist offenbar
nichts. Auch nicht die Antwort auf die Frage, wie das Miteinander gestaltet werden
soll.
Jesajas Haltung ist eindeutig: Jede und jeder hat ein Recht auf das, was zum
Leben notwendig ist. Wo Menschen unterdrückt werden, wo Frauen, Männer und
Kinder in Unfreiheit leben oder misshandelt werden, wo es Menschen an Kleidung
und einem Dach über dem Kopf fehlt, wo sie hungern und verdursten, da sind
unsere Solidarität und Gerechtigkeit gefordert.
Und
wenn in unserem Tun all diese Menschen im Blick sind, Arme und Schwache, Elende
und Gedemütigte, dann sorgt Gott dafür, dass auch wirklich keiner verloren geht.
(2)
Was für ein Zukunftsbild, das Jesaja seinen Hörerinnen und Hörern vor Augen
stellt, damals wie heute. Der Mensch begegnet seinen Mitmenschen mit
Menschlichkeit und öffnet sein Herz für andere. Der, der seine Hand zur Hilfe
austreckt, erfährt selbst Halt. Die, die eine andere einkleidet, fühlt selbst
Wärme. Und wer eine fremde Person in sein Haus aufnimmt, bekommt selbst Heimat.
Wieder wandert mein Blick auf den von Gaben überquellenden Altar. So bunt wie diese Gaben könnte auch unser menschliches Miteinander sein. Denn wir alle sind Menschenkinder, Gaben Gottes füreinander.
Musik 2: Menschenkinder
Komposition: Adel Tawil, Robin Grubert & Martin Fliegenschmidt; Album: Menschenkinder – Single; Label: Okapi under exclusive license to BMG Rights Management GmbH; LC: 19813
Autorin: „Diese Welt ist nicht schwarz-weiß, sie ist bunt … wir alle sind Menschenkinder“, singt Adel Tawil. „Wiederaufersteher und Neubeginner“ nennt er alle, die anpacken und sich für die Gemeinschaft einsetzen. „Lückenschließer“ nennt sie der Prophet Jesaja. Wenn in seiner Zeit nach Krieg und Exil die Städte und Dörfer wieder aufgebaut, das Land bestellt und die Ernten eingefahren werden, braucht es nicht nur Menschen, die Häuser wieder aufbauen, sondern auch solche, die das Gemeinwesen wiederherstellen. Er findet für die Menschen, die so Gemeinschaft gestalten, diesen wunderschönen Namen. Er nennt sie „der die Lücke zu mauert, und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne.“ (Jesaja 58,12)
Lückenschließer und Lückenschließerin zwischen arm und reich, zwischen einheimisch und zugezogen, zwischen hilfsbedürftig und hilfsbereit. Lückenschließer, Lückenschließerin und so Wegbereiter und Wegbereiterin, auf dass Menschen zueinander finden, gemeinsam in die Zukunft gehen und so ins Danken und Loben kommen.
Jesus von Nazareth, selbst Teil des jüdischen Volkes, hat getan, was der Prophet Jesaja dem Volk Gottes ins Stammbuch geschrieben hat. Jesus, der für uns Christenmenschen der Messias Gottes ist, hat geteilt, gesorgt, geheilt. Er hat getan, was Not wendet und dem Leben dient.
Eine coole Haltung: Von Gott beschenkt und gesegnet muss ich nichts krampfhaft verteidigen oder festhalten. Von Gott beschenkt und gesegnet habe ich Herz und Hände frei, um zu tun, was Menschen hilft. Das hilft auch unserem Miteinander.
Musik 2: Menschenkinder
Autorin: Es gibt ein weiteres Fest im Jahr, bei dem das Teilen im Vordergrund steht und die Tafeln Extraschichten einlegen. Mir kommt eine Weihnachtsgeschichte in den Sinn. Ein Kollege hat sie mir erzählt aus seiner Schulzeit von früher:
Der Vater eines Mitschülers in der 12. Klasse ist wenige Wochen zuvor bei einem Unfall tragisch ums Leben gekommen. Das Weihnachtsfest steht vor der Tür. Mutter und Schwester des trauernden jungen Mannes flüchten mit ihrem Schmerz zum Fest der Feste an einen Ort unter südlicher Sonne. Beach statt Bescherung. Für den Jungen mit dem schweren Herzen undenkbar. Dann lieber an Weihnachten mit dem Schmerz alleine daheim.
Kontrastprogramm bei meinem Kollegen, seinem damaligen Klassenkameraden: Heiligabend wie alle Jahre wieder: vier Generationen in immer gleicher Sitzordnung um den Tisch und den Weihnachtsbaum versammelt. Weihnachtsgeschichte und Familiengeschichten. Reichlich Königinnenpastete und Hühnerfrikassee, Wein und Lachen. Zu vorgerückter Stunde ist die Luft von Zigarettenqualm und Familienglück schwer.
Es gibt genug an weihnachtlicher Herzenswärme und Hühnerfrikassee. Wo zwölf satt werden, reicht’s auch für einen dreizehnten Gast. Also wird der traurige Mitschüler zum Heiligabend der Großfamilie hinzugebeten. Und: er kommt. Heiligabend ist eigentlich wie immer. Und doch ist dieses eine Weihnachtsfest viel reicher als alle zuvor.
Da
berühren sich dieses längst vergangene Weihnachtsfest und das heutige
Erntedankfest: „Brich mit den Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach
sind, führe ins Haus!“
Lücken schließen. Wer sich selbst reich beschenkt weiß und dafür dankbar ist,
kann genau das tun. Wer weiß, dass Gott seinen Segen dazu geben muss, damit
unser Tun gelingt, sieht mit offenen Herzen auf die Welt und auf das, was Not
tut.
Für mich verbindet sich das mit dem Erntedankfest. Orange Kürbisse und rote Äpfel, ein dickes Bündel goldener Ähren, bunte Wiesenblumen und ein Laib Brot und Weintrauben – sie sind für mich Erinnerungszeichen für Dankbarkeit, Demut und das Tun des Notwendigen. Sie erinnern mich daran, wer ich sein kann: eine Lückenschließerin und Wegausbesserin. Gott wird uns führen und sättigen.
Wir sind reich beschenkt. Gott sei Dank!
Ein frohes Erntedankfest wünscht Ihnen
Antje Menn, Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland aus Düsseldorf.
Musik 3: Autumn Leaves
Komposition: Jacques Enoch & Joseph Kosma; Interpret: Wolfgang Haffner; Album: Kind of Cool; Label: ACT Music + Vision GmbH & Ko KG; LC: 07644
Quellen:
(1) Tagesschau: Wie die Landwirtschaft Trockenheit und Hitze trotzt, 01.07.2025 https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/landwirtschaft-hitze-trockenheit-100.html - abgerufen am 24.08.2025
(2) Jürgen Ebach, Lauthals für Gerechtigkeit. Bibelarbeit über Jesaja 58, in: ders. Weil das, was ist, nicht alles ist, Theologische Reden 4, Frankfurt a.M. 1998, 186-205, hier: 195f.
Redaktion: Pfarrer Dr. Titus Reinmuth