Beiträge auf: wdr3
Kirche in WDR 3 | 14.07.2025 | 07:50 Uhr
Der Engel an der Kasse 3
Du arbeitest. Stunde um Stunde. Ein Gespräch hier, ein Treffen da. Und dann noch der ganze Verwaltungskram. Bis die Tastatur qualmt. Selbst als Seelsorger kenne ich Verwaltungskram. Das nervt mich, das saugt mich irgendwie aus. Und dann kommt dieser Moment, in dem der Körper bettelt: Ich brauch Energie! Solche Momente hatte ich in Herten regelmäßig. Da war ich in der Gemeindeseelsorge bis letztes Jahr.
Das Gute in Herten: Der Supermarkt war keine fünf Minuten entfernt von meinem Büro. Und so wurde aus der Welt der Bibeln, E-Mails und Pfarrbriefe ganz schnell ein Paradies aus Tiefkühltruhen, Regalen und Getränkekisten. Ich arbeite mich also durch den Dschungel aus Dosen, Kaugummis und Schokolade. Und dann habe ich – eine Erscheinung. Ich stehe incognito an der Kasse. Wie Günter Wallraff undercover.
Nur: Bei mir geht’s nicht um Arbeitsbedingungen oder Schimmel. Ich steh da nicht als Detektiv. Ich steh da als Theologe. Und an Kasse 3 hab‘ ich meine Offenbarung. Da steht ein Engel! Er trägt Zopf. Nicht blond, sondern brünett. Nicht muskulös, sondern eher gemütlich. Kein Mann, sondern eine Frau. Und sie schwebt auch nicht – sie klammert sich an den Einkaufswagen. Aber: Sie hat Flügel! Zwar klein, aber glitzernd. Aus Pailletten. Auf dem Rücken eines weißen T-Shirts. Ich musste schmunzeln. Aber dann hab‘ ich nachgedacht. Und ganz ehrlich: Warum nicht?
Die Boten Gottes – die kommen ja oft anders
daher, als wir denken. Nicht immer mit Harfe, weißem Gewand und Lichtschein. In
der Bibel kommen sie manchmal ganz menschlich – wie in der Genesis oder im Buch
Tobit. Manchmal furchteinflößend – wie bei Jesaja oder Ezechiel.
Und manchmal eben an der Supermarktkasse. Was diesen Engel an Kasse 3 besonders gemacht
hat, war nicht das T-Shirt. Es war das, was dahinterstand: ihr Engagement. Der
Großeinkauf für die Familie. Die Fürsorge für das kleine Mädchen an ihrer Hand. Denn darauf kommt’s an: Nicht auf Flügelgröße
oder göttlichen Glanz. Sondern auf das, was zählt. Auf die Liebe. Nicht nur im
Kino – wie bei Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“. Sondern mitten im Leben.
In Echt. Selbst wenn’s an der Kasse ist.
Ich grüße Sie aus Münster.
Ihr Stephan Orth.