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Kirche in WDR 4 | 11.08.2025 | 08:55 Uhr
Ein bisschen Rücken - ein bisschen Seele
Heute ist wieder Montag, und weil heute Montag ist ist das Wochenende auch schon wieder vorbei. Tja. Und nicht nur das Wochenende – auch unser Urlaub ist schon seit ein paar Tagen rum. Meine Frau und ich zieht es seit einigen Jahren in den Westerwald. Das ist nur ungefähr eine Autostunde weit weg von Köln. Hund und Pferd wollen schließlich auch mit. Und doch überrascht das manche Menschen, weil der Westerwald im deutschen Urlaubsranking irgendwo zwischen Linsengericht und Wanne-Eickel liegt. Es ist kein Ort, über den man an einem Flughafen begeistert erzählen kann und dabei einen Panama-Hut trägt. Der Westerwald ist schön. Nicht spektakulär schön. Keine Fjorde, keine Klippen, keine Geysire. Aber still schön. Ein bisschen wie ein altes Fotoalbum: leicht vergilbt, aber warm.
Ich hab in diesem Jahr auch im Urlaub meine Fitnessroutine nicht unterbrechen wollen. Das klingt sportlicher, als es ist. Aber nach meiner Lungenembolie im März habe ich mir regelmäßiges Bücken, Heben, Strecken und Keuchen verordnet. Und deswegen habe ich beim örtlichen Fitnessstudio mit dem wunderbaren Namen „Aktiv Club“ nachgefragt, ob ich für drei Wochen mittrainieren darf. In Köln hätte ich für so einen Wunsch wahrscheinlich eine automatische Antwort-Mail bekommen: „Ihre Anfrage wurde zur weiteren Bearbeitung an unser Kundencenter weitergeleitet.“ Im Aktiv-Club hat man einfach gesagt: „Ja klar. Komm rein.“ Was soll ich sagen? Ich war gerührt. Torsten führt sein Studio schon seit 40 Jahren. Es ist nicht durchgestylt, sondern wie man etwas altmodisch sagt: mit Liebe eingerichtet. Keine LED-Wände, keine Influencer mit Ganzkörper-Tätowierung und Proteinshakes. Und die meisten Menschen, die dort schwitzen sind – sagen wir’s offen – nicht mehr 25. Eher Ü 60. Und der Club? Hat das nicht als Problem gesehen, sondern als Programm. Die Geräte sind angepasst, das Tempo auch. Es gibt sogar einen Treppenlift zum Wellnessbereich im Untergeschoss. Niemand schreit dich an, du sollst noch drei Wiederholungen für dein inneres Tier raushauen. Stattdessen: Gespräche am Tresen. Sanfte Dehnübungen. Ein bisschen Rücken, ein bisschen Seele. Das Ganze hat nicht wie eine Muckibude gewirkt, sondern wie ein Treffpunkt. Die Menschen haben trainiert, ja. Aber sie haben auch miteinander geredet, über Beinpressen und Rumpfbeugen hinweg. Über ihre Enkel, über ihre Gelenke, über das Schützenfest, über die Brombeerernte und über das Wetter. Das auch früher schon Mist war.
Ich hab gedacht: Eigentlich ist das hier fast schon ein Gemeindehaus. Menschen kommen zusammen, teilen Zeit, achten auf sich – und auch ein bisschen aufeinander. In der Bibel steht irgendwo, dass man die Gastfreundschaft nicht vergessen soll. Dort heißt es: „Denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ Ich will jetzt nicht übertreiben, aber im Aktiv-Club im Westerwald ist es ein bisschen so. Dort tragen die Engel Jogginganzüge und haben Arthrose. Aber sie sind da. Und das ist das Wichtigste.
Was mir fehlt in dieser Welt – abgesehen von einer Steuererklärung, die ich ohne Youtube-Tutorial verstehe – sind Orte wie dieser. Orte, die sagen: Du bist willkommen. Du musst nicht schneller, schöner oder effizienter werden. Es reicht, wenn du da bist. Ich bin Torsten und seiner Frau vom „Aktiv-Club“ jedenfalls dankbar. Der Muskelkater geht vorbei. Die Erinnerung an diesen guten Ort bleibt. Nicht nur an diesem Montagmorgen.