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Das Geistliche Wort | 31.08.2025 | 08:40 Uhr

Wohin der Apfel fiel

Wie die Heilige Barbara auf einem Altar in New Mexico landete; wie der Patron der Schusseligen mitmischte bei der Begegnung mit einem meiner Ahnen , und: wie Donald Trump mich zum Apfelbäumchenpflanzer machte – frei nach Luther, darüber möchte ich heute erzählen.

Und wenn Sie jetzt denken: „Hui, das ist ja alles etwas viel“, dann haben Sie Recht. Aber das alles hat zu tun mit einer Spurensuche, die mich genau vor einem Jahr in die USA gebracht hat.

Normalerweise heißt es ja: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“. Aber dieser „Apfel“ meines Familienstammbaums fiel – Luftlinie – 8.200 Kilometer weit entfernt, bis New Mexico: Mein Urgroßonkel Wilhelm Backhaus.

Ich bin Klaus Nelißen, Niederrheiner, Rundfunkbeauftragter beim WDR. Folgen Sie mir auf meiner Reise über den großen Teich, die so voll war von Überraschungen, dass ich mich noch immer wundere, wie sich das alles gefügt hat.

Musik1: Simon and Garfunkel: „America“

Ahnenforschung liegt derzeit im Trend. Aber lange Zeit dachte ich: „Bei mir gibt’s nicht viel zu forschen.“ Wer sollte da schon was hinterlassen haben? „Ich komme aus einer Familie von Knechten und Mägden“, sage ich immer halb scherzhaft.

Mein Opa Johann väterlicherseits war mit 5 Vollwaise geworden, durch den Ersten Weltkrieg. Aber: Opa war ein zäher Knabe und stand bis zu seinem Tod vor 14 Jahren unserer Nelissen-Sippe vor. Und immer wieder erzählte er uns Enkeln von früher, meist vom Krieg.

Dann aber, als ich von meinem Auslandsstudienjahr in den USA zurückkehrte, sagte Opa mir einmal: „Klaus. Ich hatte ja einen Onkel, der war Priester. In New Mexiko.“ Wilhelm Backhaus war der Bruder von Opas Mutter. Und ich erfuhr: Er hatte Opa zu sich geladen, als der lange in französischer Kriegsgefangenschaft einsaß. „Komm zu mir und fang ein neues Leben an.“ Opa hat diese Einladung ausgeschlagen. Er ging zurück an den Niederrhein und geraume Zeit später wurde mein Vater geboren. Ein Glück, dass Opa dem Ruf seines Onkels nicht gefolgt war, sonst gäb‘ es mich wohl nicht.

Nun, da mein Auslandsjahr in den USA schon vorbei war, geriet mein Ur-Großonkel, der Priester in New Mexiko, erstmal wieder aus meinem Sichtfeld.

Bis mein Opa 2011 starb. In seinem Nachlass fand mein Vater dann den Totenzettel meines Ur-Großonkels. Aber: New Mexiko? Das war eben weit weg. Und rückte noch weiter in die Ferne: Erst kam Trump und dann Corona. Erst 2024 sollte ich wieder einmal in die USA reisen. Mein Vater war da leider schon gestorben. Ich hatte nur noch den Totenzettel des Urgroßonkels. Als meine Frau und ich die Reise planten, da gab ich mir ‘nen Ruck, suchte den Totenzettel und sagte mir: Wenn sein Grab noch besteht, dann fährst Du da hin.

Also fing ich an, im Internet zu suchen. Keine 24-Stunden, nachdem ich den Facebook-Auftritt der Gemeinde fand, bekam ich auf diesem Weg eine Nachricht mit dem Foto des Grabs. Also: Auf nach Amerika, auf nach Pecos, New Mexico!

Musik 2 : Simon and Garfunkel „America“

Bevor meine Frau und ich in die USA aufbrachen, machte ich einen kleinen Abstecher nach Wegberg-Klinkum. In dieser Bauernschaft war mein Urgroßonkel aufgewachsen: 1892 geboren als jüngstes Kind. Die Familie war nicht reich. Und damals gab es noch so viele Priesteramtskandidaten, dass nicht für alle eine Pfarrstelle verfügbar war. Wer kein Geld mitbrachte, musste es machen wie mein Urgroßonkel. Er verpflichtete sich, in die Mission zu gehen. So wurde er ein „Priester der Weltkirche“, wie es heute so schön heißt. Am 20. August 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, feierte Wilhelm Backaus in Klinkum seine Primiz, seine erste Messe. 1922 ging er dann nach New Mexico.

Nun: Was konnte ich zum Grab meines Urgroßonkels mitbringen? Heimaterde! Die hatte ich heimlich hinter seiner Primizkirche gesammelt, passenderweise heißt sie „zur Heiligen Familie“.

Als wir schließlich nach New Mexico kamen, Mitte August vor einem Jahr, da herrschte dort eine abartige Dürre. Eigentlich wollten wir Pecos in Ruhe erkunden. Aber aufgrund der Hitze war der Besuch dann doch kürzer als geplant: Denn wir beschlossen 150 km weiter im Norden zu verweilen, in Taos, wo es kühler war. Von dort brach ich schließlich alleine auf Richtung Pecos. Schnell rein, schnell raus.

Und: Was soll ich sagen… In der Eile hatte ich die Heimaterde in Taos vergessen. Das hatte ich aber erst gemerkt, als ich mich in Pecos bei brüllender Hitze aus dem Auto schälte. Mürrisch stampfte ich über den Friedhof der St. Anthony-Kirche. Antonius. Wie passend: Der Patron der Schusseligen. Ich Rindvieh, dass ich die Erde vergessen hatte. Und dann sah ich das Grab. „William Bickhaus“ stand auf dem großen Stein. „Noch nicht mal seinen Namen richtig schreiben konnten sie“, grummelte ich. Die Sonne stach zu sehr, als dass ich am Grab lange verweilen konnte. Trotzdem war ich auch ergriffen. Immerhin war ich der erste aus seiner Familie an seinem Grab. Ich versuchte nachzuspüren, was es für meinen Urgroßonkel wohl bedeutet hatte, genau hier zu leben. „Und wie lange eigentlich?“, fragte ich mich. Und kramte auf meinem Handy noch mal das Foto des Totenzettels heraus.

Was war ich doch für ein Rindvieh, dass ich erst jetzt las, dass mein Urgroßonkel keine zwei Jahre tätig war als Pfarrer hier in Pecos, bis er überraschend starb, am Aschermittwoch 1950. Zuvor hatte er ab 1922 in einem Ort gewirkt namens El Rito. Das hatte ich erst jetzt realisiert. Und was glauben Sie: Wo El Rito liegt? In der Nähe von Taos!

War es Zufall oder Fügung? Durch die Hitze und durch meine Schusseligkeit jedenfalls hatte ich tags drauf die Möglichkeit, noch nach El Rito zu fahren. Wenn ich nur früh genug aus dem Bett kommen würde. Denn am selben Tag mussten wir noch 800 Kilometer wett machen durch die Wüsten Arizonas zu unserem nächsten Hotel.

Musik 3: „El Condor Pasa“ I’d rather be a sparrow than a snail, yes I woud…

Und schon wieder hatte es die Fügung gut gemeint: Ich wachte um 5 Uhr auf. Meine Frau auch. Und so fuhren wir in Allerherrgottsfrühe durch das Tal des Rio Grande. 1,5 Stunden durch karges Land bis an den Fuß der Carson-Berge, wo El Rito liegt. Und diesmal hatte ich die Erde aus Klinkum dabei – und Weihrauch vom Kölner Dom. Den wollte ich eigentlich dem Pfarrer von Pecos geben. Was ich seit dem Vortag wusste von dem Totenzettel: Mein Urgroßonkel hatte in El Rito eine Antoniuskirche gebaut – da war er wieder, der Patron der Schusseligen.

Als wir am Kirchplatz ankamen, war es 7 Uhr morgens. Keine Menschenseele. Auf dem Schild vor der Kirche stand „St. Nepumuk“. Na toll! Und als ich gerade mit mir haderte, warum ich mir diese Fahrt noch angetan hatte, fuhr ein Pick-Up vor. Auf der Ladefläche: ein Hund und ein Seitenschneider. Der Fahrer sprang aus dem Wagen, hob verwundert seine Sonnenbrille: „Was macht Ihr denn hier?“ Und dann erzählte ich ihm kurz die Geschichte. Mario, so heißt er, konnte es kaum glauben „Ihr seid extra aus Deutschland gekommen?“ „Und Dein Urgroßonkel war Priester? Hier in El Rito?? Ihr müsst unbedingt mit dem Pfarrer sprechen. Ok, es ist noch früh. Aber um halb 8 können wir ihn schon wecken.“ Mario zeigte uns den Weg zur Antoniuskapelle, die etwas ab vom Schuss liegt. „Danach kommt ihr wieder, dann gehen wir zum Pfarrer“, rief Mario und schmiss den Seitenschneider an. Gesagt getan. Und nach 15 Minuten Autofahrt stand ich vor der Kapelle, die mein Urgroßonkel hatte bauen lassen. Und ich verteilte fleißig Heimaterde – dem Heiligen Antonius dankbar, dass sich das noch so gefügt hatte. Dann fuhren wir zurück.

Mario schnitt noch immer die Hecke. Als wir ankamen, eilte er zum Pfarrhaus. Wobei Haus übertrieben ist: Eine Hütte, mit einer Veranda und einem uralten Apfelbaum davor. Auf der Veranda lag Holz gestapelt. Mario hämmerte gegen die Tür. „Father Joseph! Sie haben Besuch! Aus Deutschland!“ – rief er und grinste dabei verschmitzt. Father Joseph öffnete, der noch nicht allzu lange wach zu sein schien. Joseph stammt aus Vietnam – auch er ein Priester der Weltkirche. Der Name Wilhelm Backhaus sagte ihm etwas. „Normalerweise lasse ich nie jemanden in mein Pfarrhaus. Aber: Weil Dein Urgroßonkel auch schon hier gelebt hat: Kommt doch rein auf eine Tasse Tee!“ Drinnen sah es so aus, als habe sich fast nichts verändert. Noch immer heizte Father Joseph mit Holz einen Kanonenofen. „Das musste dein Urgroßonkel sicher auch schon machen“, sagte er und lachte.

Musik 4: Simon and Garfunkel „Leaves that are Green”

„Komm mit in die Kirche“, sagte Father Joseph. „Ich will Dir was zeigen“. Und er öffnete die Tür zu Sakristei. Dann brauchte er etwas, um im großen Schrank zu finden, was er suchte. „Hier die goldenen Messgewänder. Die hat Dein Onkel damals mitgebracht. Bei hohen Festen nutzen wir sie noch immer. ‚good German quality’“, lachte er dabei. „Und hier oben: Die Monstranzen: Die sind auch von ihm.“

Ich fasste den Goldbrokatstoff des Messgewandes an und konnte es kaum glauben: Dass ich eine der ältesten Hinterlassenschaften eines meiner Ahnen ausgerechnet in New Mexico finden würde – 8.200 Kilometer entfernt von zu Hause!

Richtig überwältigt war ich dann aber von dem, was ich im Inneren der Kirche entdeckte, in die uns Father Joseph anschließend führte.

Nicht der Hauptaltar zog meine Aufmerksamkeit auf sich, sondern ein kleiner Seitenaltar. Ein Altar, wie ein Setzkasten. In jeder Nische: ein Heiliger, eine Heilige, gemalt im naiven Stil. Kunsthistorisch vielleicht nicht bedeutsam. Für unsere Familie aber schon. Denn welche Heiligen entdeckte ich in den obersten Reihen? Maria, gut – das ist noch erklärlich. Aber: Was machten denn die Heilige Barbara und der Heilige Martin dort? Heilige, die in Deutschland vielleicht bekannt sind, aber doch nicht so sehr in Nordamerika! Nun: in der Großelterngeneration meines Opas waren die Namen Martin, Barbara und Maria verbreitet. Auch mein Vater hieß Günter-Martin, meine Tanten: Maria und Bärbel. Keine Frage: Diesen Altar muss mein Urgroßonkel in Auftrag gegeben haben.

Ich war platt – ein Familienporträt ganz besonderer Art! Nachdem ich vor dem Altar ein kleines Dankgebet gesprochen hatte, versuchte ich mich zumindest etwas dankbar zu erweisen und schenkte Father Joseph den Weihrauch aus dem Kölner Dom. Der war total gerührt, denn er war einst in Köln – beim Weltjugendtag. Jetzt wollte auch er uns etwas schenken. „Aber ich habe nichts…“, sagte er. Aber dann hastete zum Apfelbaum vorm Pfarrhaus, pflückte einen reifen Apfel und gab ihn uns.

Um einen Apfel reicher und das Gefühl, beschenkt worden zu sein, fuhren wir völlig beseelt zurück nach Taos. Pecos, das einsame Grab in der glühenden Hitze: An diesem Ort fühlte ich mich meinem Urgroßonkel nicht nah. In El Rito, in dieser kurzen Zeit, aber war sie zu spüren: Verbundenheit.

Musik 5: Simon and Garfunkel “Homeward Bound”

Daheim in Köln hab ich den Apfel in den Kühlschrank gelegt. Und ehrlich gesagt hatte ich ihn da auch fast wieder vergessen. Dann aber kam die Wahlnacht vom 5. November, als überraschend doch Donald Trump gewählt wurde. Am Morgen danach herrschte bei mir „Weltuntergangsstimmung“. Da erinnerte ich mich an den Apfel. Und an das Zitat, das Martin Luther zugesprochen wird. „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute einen Apfelbaum pflanzen.“ All mein Hoffen auf die Zukunft lag mit einem Mal in dem Apfel, der in unserem Kühlschrank ruhte. Und mit Hilfe meiner Frau entnahmen wir die Kerne, legten sie auf feuchtes Küchentuch mit etwas Erde – und wieder in den Kühlschrank. So stand es im Internet: Wintersimulation.

Und schon wieder vergaß ich den Beutel mit den Kernen. Bis zum 8. Mai. Als Papst Leo XIV. gewählt wurde. Der erste Amerikaner auf dem Stuhl Petri. Da durchzuckte es mich und ich ging zu Kühlschrank. Siehe da: Die Tüte im hinteren Teil war schon ganz aufgebläht. Denn mittlerweile waren Sprossen aus den Kernen gewachsen.

Drei dieser Sprossen haben bislang überlebt und wachsen derzeit noch auf unserem Balkon in Köln. Einer von diesen wird nach Klinkum gehen. Denn mittlerweile bin ich in Kontakt mit einem „echten Backhaus“, mit Karl-Josef, dem Großneffen von Wilhelm, dem Pfarrer von Pecos und El Rito.

Ja, ja: „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“. Dieser Apfelbaum wird hoffentlich weiterwachsen. Und auf dieser ganzen Reise, mit all ihren unglaublichen Wendungen, ist mein Vertrauen etwas mehr gewachsen, dass es sich lohnt, zu schauen: Woher komme ich. Was hat sich gefügt in meinen Leben – auch durch meine Abstammung? Wir Menschen sind eben keine Inseln. Wir stehen in Verbindung. Oftmals in längeren Distanzen, als wir zu glauben wagen. Und doch so nah.

Musik 6: Simon and Garfunkel "Song for the Asking"

Einen schönen Sonntag, mit Nähe und Verbundenheit, wünscht Ihnen Klaus Nelißen aus Köln.

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