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Kirche in WDR 3 | 25.08.2025 | 07:50 Uhr
Enttäuschung
Ich sag’s wie es ist. Ich bin enttäuscht. Aber ist das schlecht? Mit Enttäuschung verbinde ich ja erstmal etwas Negatives. Verlust. Entfremdung. Scheitern. Ich selbst war schon öfter enttäuscht. Aber eine Enttäuschung hat mich verändert. Ich erinnere mich an einen Freund. Zumindest waren wir das mal. Als wir uns kennengelernt hatten, war ich sofort begeistert. So klug war der. So sensibel. So kreativ. Und der hatte eine Ausstrahlung, die war fast ansteckend positiv.
Kennen Sie das? Man sieht jemanden und denkt: Wow. Nicht romantisch. Einfach menschlich. Da war sofort eine Nähe, ein Vertrauen. So, wie Freundschaften eben beginnen.
Und dann kam das Leben. Umzug, eine neue Stelle. Plötzlich haben wir weniger Zeit. Mit dem neuen Leben kommen neue Leute. Ein neuer Alltag. Und der Abstand wächst. Wir werden uns fremder. Mit der Fremde kommt das Unverständnis, mit dem Unverständnis der Streit und mit dem Streit die Verletzung. Und die hat damals weh getan. Was dann kam, war erst wochenlanges Schweigen. 40 Tage in der Wüste können hart sein. Ohne Antwort, ohne Gewissheit. Auf sich selbst gestellt. Ich halte so etwas extrem schwer aus. Mir ist Dialog total wichtig.
Irgendwann dann ein Gespräch. Endlich. Wir tauschen uns aus, wie wir das eigentlich alles wahrnehmen – eigentlich: gut. Ich habe alles gesagt. Ich bin alles losgeworden. Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan. Ich sehe meine Fehler. Ich erkenne meine Schwächen und ich bereue das, was mir nicht gelungen ist. Trotzdem sähe er keine Zukunft für unsere Freundschaft. Er fände das nicht schön, aber er „müsse“ das tun. Um konsequent zu bleiben. Vor sich selbst. Ich denke: Wir hätten das hinbekommen. Aber: Es ging nicht. Ich habe das Gespräch gesucht – er den Abstand. Das hat mich tief getroffen. Denn Liebe hat viele Gesichter. Und dieses eine Gesicht ist mir plötzlich verborgen. Und das enttäuscht. Aber nicht so platt – wie man das mal eben vor sich hinsagt. Denn diese Ent-täuschung war anders. Ich meine das im wahrsten Sinne des Wortes. Was ich damit meine: Ich habe mich getäuscht. Falsch eingeschätzt. Jetzt sehe ich klarer.
Und genau da kommt für mich Gott ins Spiel. Nicht als einer, der solche Geschichten verhindert. Nicht als einer, der Schmerz fernhält. Sondern als einer der mitgeht. Der aushält. Der tröstet – nicht durch schnelle Antworten, sondern durch tiefe Wahrhaftigkeit. Ich glaube an einen Gott, der mir hilft, Enttäuschung zu durchdringen. Und ja: Gott ist radikal – in Liebe und Würde. Auch wenn’s heißt: Ich muss loslassen. Nicht weil ich das so will, sondern weil der andere es so braucht. Und er ist ehrlich: Er legt offen, was ich vorher nicht sehen konnte. Selbst, wenn’s weh tut. Mit dieser Klarheit beginnt Annahme. Und mit Annahme: Versöhnung. Vielleicht irgendwann auch mit diesem Freund, der heute keiner mehr ist. Oder auch nur mit mir selbst. Mit dem, was war – und was nicht mehr ist.
Ich grüße Sie aus Münster,
Ihr Stephan Orth