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Kirche in WDR 5 | 19.12.2025 | 06:55 Uhr
Haben Sie schon mal Maria umarmt?
Einen guten Freitagmorgen wünsche ich Ihnen und habe gleich eine Frage: Wann haben Sie zuletzt Weihnachten so richtig mitgefiebert? Haben vielleicht sogar mal Maria umarmt? Ich frage das, weil in mir noch ein Gottesdienst nachklingt, den ich gestern gefeiert habe. Das ist ein Schulgottesdienst mit der Förderschule in meiner Gemeinde, hier im Düsseldorfer Rheinbogen. Rund 80 Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichem Förderbedarf und ganz individuellen Handicaps kommen zusammen mit Ihren Lehrerinnen und Betreuern zweimal im Jahr zu mir in die Kirche und wir feiern zusammen. Diesmal natürlich Weihnachten. Was mich immer wieder aufs Neue beseelt? Wie unverstellt und herzlich diese lebhafte Gemeinde die Botschaft aufnimmt, die wir ihnen dort erzählen. Wie offen und bedingungslos das Staunen ist über das Wunder der biblischen Erzählungen. Ich will Ihnen gerne erzählen, was mich so beweg hat und vielleicht erreicht es ja auch Ihr Herz:
Mit den Religionslehrerinnen hatte ich ein Krippenspiel vorbereitet. Die Rollen wurden im Kollegium verteilt. Die Inhalte ganz auf das Wesentliche heruntergebrochen, damit es für die Kinder verständlich ist. Ganz elementar also, was Weihnachten bedeutet: Maria und Josef sind unterwegs. Sie finden den Stall und bekommen das Kind. Die Hirten auf dem Feld werden vom Engel informiert und machen sich auf den Weg zur jungen Familie. Soweit, so klar. Bis Sven, einer der Schüler und eine Seele von Mensch, unvermittelt mit ins Krippenspiel einsteigt. Er geht zu dem Wirt, der nur einen Stall als Herberge anbietet, und sagt ihm, was er von der Hilfsbereitschaft hält: „Guck doch, wie müde die Frau ist. Du musst denen einen Zimmer geben. Nicht so einen ollen Stall für Tiere.“ An dieser Stelle greift Maria ein. „Ist schon in Ordnung, Sven.“, sagt sie milde. „Ich bin froh, dass der Mann uns diesen Platz gibt.“ Sven lässt sich beruhigen, auch wenn es seinem Gerechtigkeitssinn und seiner Hilfsbereitschaft widerspricht, weil man so ja nicht mit Fremden umgeht, mit offensichtlich Hilfsbedürftigen. Als dann die Hirten auf dem dunklen und kalten Feld auf der Bühne erscheinen, ist Sven wieder zu Stelle. Er setzt sich zu ihnen ans imaginäre Feuer. „Ist dir kalt?“ fragt er einen. Geistesgegenwärtig antwortet der Betreuer in der Rolle des Hirten: „Ja, hier draußen auf dem Feld ist es immer eiskalt. Vor allem nachts. Aber in der Stadt will ja niemand etwas mit uns zu tun haben, weil wir ja so nach den Schafen stinken und arm sind.“ „Warte, ich wärme dich“, sagt Sven und legt seinen Arm um ihn. Er tut es nicht in einer Kirche in Düsseldorf im Advent 2025. In seinem Erleben tut er es auf dem Feld bei Bethlehem im Jahre 0. Und als der Engel schließlich die Botschaft von der Geburt Jesu verkündet, beschließt Sven, dass er die Hirten zum Stall begleitet. Er geht mit und findet alles so, wie es der Engel gesagt hat. Was nicht biblisch belegt ist: Sven fasst sich ein Herz und fragt Maria, ob er sie umarmen darf. Natürlich darf er das und es legt sich ein Ausdruck von Seligkeit auf seine angespannten Gesichtszüge. Schließlich sitzt er den Rest des Gottesdienstes mit im Stall und hält die Kinderpuppe ganz achtsam, als wär es sein kleiner Bruder. Ich denke an die Bergpredigt und schreibe sie für mich weiter: „Selig sind die, die Maria im hier und jetzt umarmen und die das wehrlose Jesuskind achtsam im Arm halten, denn sie werden Boten des Friedens sein.“
Das ist doch der Kern der
Weihnachtsbotschaft: Unvoreingenommene und bedingungslose – ja, göttliche - Menschlichkeit.
Und Sven hat es mir eine Woche vor dem Fest deutlich gemacht. Vielleicht können
Sie – wie ich – dieses vierte Adventwochenende dafür nutzen, die Welt unvoreingenommen
staunend mit Svens Herzensaugen zu erleben. Ich bin Martin Kürble und wünschen
Ihnen aus Düsseldorf dafür viele gute Gelegenheiten und mitfühlende Momente.
