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Das Geistliche Wort | 26.10.2025 | 08:40 Uhr

Wie lebe ich richtig?

Seit heute gilt wieder die Winterzeit und damit ist für mich der Sommer endgültig vorbei. Schade, denn der diesjährige Sommer war für mich persönlich ein ganz besonderer; in diesem Sommer habe ich einen runden Geburtstag gefeiert – meinen 60.ten. Und ja – ich gebe es offen zu: An diese neue Zahl muss ich mich immer noch ein wenig gewöhnen. Vermutlich auch deshalb, weil mir mehr bewusst wurde, wie begrenzt doch mein Leben ist – ein Gedanke, den ich in meinem Alltag bisher eher vernachlässigt habe Zwei Drittel, wenn nicht gar drei Viertel meines Lebens sind vorbei. Und mit dem 60. Geburtstag beschäftigt mich die Frage zusehends: Wie lebe ich eigentlich? Und wie lebe ich richtig? Ich bin Bergit Peters Theologin und Hochschullehrerin für Religionspädagogik in Paderborn. Guten Morgen.


Musik I: Queen; Bohamian Rhapsody


Die Frage nach dem richtigen Leben zählt zu den ältesten Fragen, die sich Menschen stellen. Es ist eine existentielle Frage, bei der es ums Ganze geht. Und ich weiß: eine solche Grundsatzfrage ist verteufelt schwierig zu beantworten und kostet viel Zeit, weil sie immer wieder auftaucht und nie ganz zu beantworten ist. Dafür ändern sich die Lebensumstände zu schnell. Allein was sich verändert hat durch die Digitalisierung und weltweite Vernetzung im Internet. Kommunikation ist heute anders als vor dreißig Jahren. Informationen stehen schneller und vielfältiger zur Verfügung als je zuvor – und damit auch Fehlinformationen: Ich sage nur fake news. Aber als Kind meiner Zeit nutze ich diese Techniken und so habe ich einmal die Künstliche Intelligenz gefragt: Wie lebe ich richtig? Die Antwort der KI auf meine Frage ist ziemlich ernüchternd. Im Grunde genommen erfahre ich nichts Neues. Wörtlich antwortet mir die künstliche Intelligenz: „Das ist eine große und komplexe Frage, und es gibt darauf keine einheitliche Antwort, da das ‚richtige‘ Leben stark von persönlichen Werten, Überzeugungen und Umständen abhängt. Dennoch kann ich einige allgemeine Tipps und Überlegungen geben, die dir helfen könnten, ein erfülltes und sinnvolles Leben zu führen.“ Und dann folgt von der KI eine Zusammenfassung von Tipps generiert aus der Fülle der Lebensratgeberliteratur: „Um ‚richtig‘ zu leben, ist ein Gleichgewicht aus körperlicher und seelischer Gesundheit wichtig: Dazu gehören eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, ausreichend Schlaf und bewusste Entspannung. Gleichzeitig ist es förderlich, sich mit anderen zu verbinden, Ziele zu verfolgen, neue Dinge zu lernen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Wichtig ist, auf sich selbst zu achten, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und Achtsamkeit im Alltag zu praktizieren.“ Die KI-generierte Antwort auf meine Frage schließt dann mit dem Hinweis: „Denke daran, dass das ‚richtige‘ Leben für jeden anders aussieht. Es ist wichtig, deine eigene Definition davon zu finden und dementsprechend zu handeln.“ Tja, damit bin ich eigentlich so klug wie zuvor. Es bleibt nichts anderes übrig, als selbst zu suchen nach der Definition vom „richtigen“ Leben. Und – es mag ein Zufall gewesen sein oder auch nicht: Bei meiner Suche bin ich auf ein interessantes Buch gestoßen, dass mich sehr bewegt hat und dem ich gute Gedanken verdanke: „Das Wenige und das Wesentliche“ von John von Düffel. Im Untertitel heißt es „Ein Stundenbuch“ und das hat mich noch einmal mehr neugierig gemacht auf das Buch. Denn damit verbinde ich natürlich die große Tradition christlicher Gebetbücher, wie sie seit Jahrhunderten in den Klöstern genutzt wurden, um den Tag durch Gebetszeiten zu strukturieren. Gern möchte ich erzählen, warum mich dieses moderne Stundenbuch des Romanciers und Theaterautors von John von Düffel fasziniert. Es wurde sogar zu meiner begleitenden Lektüre vor dem Einschlafen.


Musik II:
Nils Landgren Quartet, Bochumer Symphoniker; Simple Song


„Wie lebe ich richtig?“ ist die zentrale Frage von John von Düffel in seinem Buch: „Das Wenige und das Wesentliche“. Der Gedankengang dieses Buches, das immer wieder Hinweise auf philosophische Traditionen gibt, beginnt in der stillen Umgebung eines klösterlichen Zimmers um fünf Uhr morgens, also noch vor Sonnenaufgang und endet nach Sonnenuntergang um 18 Uhr. Ganz bewusst greift der Autor, die klösterlich-monastische Tradition des Tagzeitengebets auf, obgleich er selbst atheistisch geprägt ist und sich von Religion distanziert. So formuliert er in seinem modernen „Stundenbuch“ auch keine Gebete und poetischen Texte, sondern vielmehr prägnant-geistreiche, in sich geschlossene Sinnsprüche, die Erkenntnisse, Erfahrungen, Lebensweisheiten vermitteln wollen wie zum Beispiel:„Das Wenige / Ist die Methode / Um das Wesentliche zu erkennen / Wenn das Wenige dem Wesentlichen entspricht / Ist das Glück“[1].

Was sich hier anhört wie ein immer weniger ist eigentlich die „Suche nach dem Genug“[2]. Und diese Suche zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Stunden des Tages bis zum Abend. Es ist eine Denkbewegung, ein Umkreisen eines Themas; für mich ist es Meditation. Dabei ist das Stundenbuch kein Lebensratgeber, sondern ein Begleiter, der Denkanstöße geben will. Und genau deshalb fasziniert und begeistert es mich. So ein Sinnspruch zum Beispiel: „Das größte Missverständnis der Askese ist / Der Verzicht“[3]. Hört sich paradox an – ist es aber nicht. Düffel wehrt sich nämlich gegen genussfeindliche Entsagungen und gegen die Verachtung von allem Weltlichem. Dies seien die Ideale des „Asketen der Vergangenheit“[4]. Ihm geht es eben nicht um Entbehrungen, sondern um das Entbehrliche und er sagt:
„Der Asket der Zukunft kehrt sich nicht ab / Von der Welt, er wendet sich ihr zu / Mit dem Blick für das Wesentliche“[5].

Weniger kann also auch mehr bedeuten. Richtig! Düffel wehrt sich gegen das „Immer-Mehr“. Es ist eine Spirale: Haben, um immer mehr zu wollen. Und diese Spirale wird angetrieben letztlich durch ein unerfüllte Erfahrung: „Weil ich nie bekomme, was ich wirklich brauche / Bekomme ich nie genug“[6]. Wer dieser Spirale folgt, kann eigentlich nur unglücklich sein, so wie es die Geschichte vom Sisyphos erzählt. Der musste einen Stein auf einen Berg hinaufrollen. Aber kurz bevor er sein Ziel erreichte, rollte der Stein wieder hinunter. Eine endlose Arbeit, bei der er nie an sein Ziel gelangte. Düffel stellt in seiner Betrachtung des heutigen Konsumverhaltens nun diesem fatalen Lebensvollzug den modernen „Asketen der Zukunft“ gegenüber und fragt: „Was brauche ich, was nicht / Wie viel, wie wenig ist genug?“[7]. Diese einfachen Fragen empfinde ich – gerade angesichts der begrenzten Ressourcen unserer Erde, aber auch in Hinblick auf die Klimakrise – als überlebensnotwendig, ja als eine Befreiung. Düffel versteht diese Askese als eine Art der „Zurücknahme“[8] so: „Nicht zu konsumieren kann ein Hochgenuss sein.“[9] Damit verweist er auf Diogenes, den antiken „Philosophen in der Tonne“[10]. Von ihm heißt es nämlich: Diogenes schlenderte über den Markt von Athen und erfreute sich an all den Waren, die er nicht brauchte. „Wir müssen uns Diogenes als / Den glücklichsten Einkaufsbummler vorstellen“[11].


Musik III: Bobby McFerrin; Don’t worry, be happy


Wie lebe ich richtig? Eine Antwort darauf liegt – so der Philosoph John von Düffel – in der „Übung des Unterscheidens / Von Wichtigem und Unwichtigem“ und in der Suche nach dem Wissen, wann etwas genug ist. So erschließt sich Schritt für Schritt das Leben, ja mehr noch: der Sinn des Lebens. Es ist wie beim Erzählen von Geschichten: „Das Verbinden einzelner Momente / Des Richtigen zu einer Richtung“[12]. Aber geht das so einfach, frage ich mich. Düffel bringt es auf den Punkt und verweist auf die mythologische Figur des Ödipus, dessen Schicksal vorherbestimmt war: Er tötete seinen Vater und heiratete seine Mutter, obgleich seine Eltern versuchten, genau das zu verhindern. Ein Dilemma: „Die Richtung zu entscheiden / Ohne zu wissen, was richtig ist heißt / Für die Zukunft entscheiden zu müssen / Ohne die Zukunft zu kennen“[13].

Ein Dilemma, das letztlich jeden Menschen betrifft, denn niemand verfügt über „Zukunftswissen“ und auch nicht über ein umfängliches Anfangswissen. Denn jede Lebensgeschichte hat eine Vorgeschichte, jedem Lebensbeginn geht etwas voraus, eine Zeugung, eine Geburt, eine Kindheit. Und in diesen verschiedenen Geschichten überlagern und verschränken sich weitere Geschichten[14]. Wer weiß schon um die Anfänge des eigenen Lebens und wer um das mögliche Ende? Anfang und Ende sind Orte der Mythen. Man schaue nur auf die Bibel mit der Genesis, dem Schöpfungsbericht am Anfang mit Adam und Eva und der Apokalypse mit der Beschreibung vom Weltende. Der Philosoph John von Düffel beschreibt es so: Der Anfang und das Ende sind eine Fiktion, eine erfundene Behauptung, denn niemand verfügt über genaues Wissen. Daher ist es wichtig auf den Moment zu schauen: „Real ist nur die Richtung / Im Gehen wie im Geschehen ist sie / Das Einzige, was ich ändern kann“[15]. Und das Kriterium, das mir hilft, um über die Richtung entscheiden zu können, ist „Die Kunst / Wegzulassen“[16]: „Wie viel, wie wenig ist genug? / Es gilt, das richtige Maß zu ermitteln / Wenn ich es herausfinde / Kenne ich nicht nur meine Bedürfnisse / Ich weiß auch, wer ich bin“[17]. Anders formuliert: „In dem, was mir genügt / Erkenne ich das rechte Maß / Und mich“[18]. Und genau hierum geht es doch: Das Maß der Übereinstimmung meiner Lebensweise mit mir zu erhöhen; denn darin liegt das Glück der Askese: „Wenn es wesentlich ist / Ist wenig genug“[19].


Musik IV:
P!nk,Willow Sage Hart, Cover me in Sunshine


Wie lebe ich richtig? In einer von Krisen und Unsicherheiten bedrohten Welt erlebe ich die Frage nach dem richtigen Leben stärker denn je und als eine große Herausforderung. Denn das größtmögliche Glückbesteht darin, auf dem richtigen Weg zu sein, ohne jedoch die eigene Vergangenheit genau zu kennen, geschweige denn die Zukunft.

Ein letzter Gedanke dazu. Ohne dieses genaue Wissen den richtigen Weg zu gehen erfordert eine Haltung, nämlich die des: „Trotzdem und Dennoch“. Was ist damit gemeint? Der atheistische Philosoph John von Düffel verweist hier interessanterweise auf die Gestalt des Hiob im Alten Testament. Der weiß nicht, warum ihm das Schicksal schlecht mitspielt. Immerhin hat er Haus und Hof, sogar seine Kinder verloren. Und dennoch verflucht er Gott nicht, wie es ihm Freunde und sogar seine Frau raten. Er geht beharrlich seinen Weg weiter. Seine Haltung (Hiob 1,21): „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen.“ Und im Sinne des Philosophen Düffel würde ich ergänzen: Es ist genug wie es ist. Ich weiß, ein radikaler Minimalismus – aber vielleicht der Angang einer neuen Genügsamkeit, die sogar Glück verheißt? Die Lektüre vom „Wenigen und Wesentlichen“ inspiriert mein Nachdenken über das „richtige“ Leben, weit mehr als die Künstliche Intelligenz mir zu sagen hat. Übrigens: John von Düffel äußert sich in seinem Stundenbuch auch darüber:
Künstliche Intelligenz kennt kein Genug. Um sich selbst zu optimieren, muss die Künstliche Intelligenz immer mehr Daten verarbeiten, ist quasi ein Nimmersatt. Und darin liegt wohl ihr größter Unterschied zum Menschen. Denn am Ende seines Buches betont er: Genug ist genug; und meint mit diesem Moment des Genügens einen Moment des Glücks. Es ist das „Glück am Moment des Genügens“[20]. Das wird die Künstliche Intelligenz nie erreichen.

Aber zurück zum Menschen und zu seinem Glück. Ich verstehe es so: Das Glück entsteht schließlich durch die bewusste Hinwendung zum Leben; wenn ich den Moment auskoste und genieße, wenn ich mich dem Hier und Jetzt zuwende, wenn ich mich den Menschen zuwende und auch Gott zuwende. Der Augenblick, das Jetzt, in dem ich lebe, kann von mir gestaltet werden. Wie wäre es daher, wenn ich mir täglich eine kleine Zeit des Genießens und der Achtsamkeit nähme? Und: Mit der Haltung der Hinwendung zum Leben verbände ich eine Haltung des Annehmens, nicht des Im-Griff-Habens? Das Leben ist mir geschenkt. Das Glück besitze ich nicht, es ist eine Weise des Seins, nicht des Habens. Glück habe ich nicht, ich bin glücklich. Es sind die Momente, in denen ich spüre: Hier passt etwas; hier stimmt etwas überein; hier habe ich etwas richtig gemacht. Und diese Momente des Genügens können sogar ermöglichen, in Kontakt zu kommen mit dem Geheimnis meiner selbst und dem Geheimnis Gottes in mir. Genug ist eine Kategorie des Glücks in jedem Moment – so formuliert es John von Düffel in seiner säkularen Predigt eines Suchenden. Genug ist eine Kategorie des Glücks in jedem Moment, die zugleich auch über den Moment hinausweist, so möchte ergänzen. Denn für mich als Christin begegne ich in solchen Momenten des Genügens, dem Wirken Gottes, seiner Menschenfreundlichkeit; ja letztlich Gottes Ewigkeit.


Musik V:
Nils Landgren Funk Unit, Viktoria Tolstoy, Benny Andersson; When all is said and done


Einen schönen Sonntag, an dem Sie hoffentlich viele Momente des Genügens einsammeln können, wünscht Ihnen

Ihre Bergit Peters aus Paderborn

[1] John von Düffel, Das Wenige und das Wesentliche. Ein Stundenbuch, Köln 2022, 7. [2] Ebd., 203. [3] Ebd., 7. [4)

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