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Sonntagskirche | 31.08.2025 | 08:55 Uhr
Der verlorene Sohn
Guten Morgen.
In einem kleinen Ort am Rande des Ruhrgebiets, einsam zwischen den Feldern, liegt eine Bushaltestelle. Sie trägt einen besonderen Namen: „Verlorener Sohn“. Wie die Überschrift einer Geschichte, die Jesus in der Bibel erzählt.
Da hat ein Vater zwei Söhne. Der eine Sohn ist eng mit der Familie verbunden. Er hilft auf dem heimischen Hof, verhält sich ansonsten unauffällig.
Sein kleiner Bruder ist dagegen das schwarze Schaf der Familie. Er lässt sich sein Erbe vorzeitig auszahlen und macht sich davon. „Was kostet die Welt?“, gedacht und getan: Das Erbe ist schnell ausgegeben, verprasst für allerlei Spaß, als gäbe es kein Morgen.
Aber natürlich gibt es ein Morgen - und das sieht düster aus: Eine Hungersnot kommt über das Land. Schnell bereut der kleine Bruder seine Verschwendung. Er muss sich als Billiglöhner verdingen, hütet Schweine - und stellt verzweifelt fest, dass selbst diese mehr zu futtern haben als er. Reumütig und hungrig fasst er einen schweren Entschluss: "Ich versuche es bei meinem Vater. Er soll mich gar nicht mehr als seinen Sohn aufnehmen - aber vielleicht nimmt er mich als einen seiner Arbeiter … die haben immer genug zu essen.“ Und so kriecht der verlorene Sohn vor seinem Vater zu Kreuze: „Vater, ich habe gesündigt (…), ich bin nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden.“ (Die Bibel, Lukas 15,21)
Was tut nun der Vater: Unfassbar groß ist seine Freude über die Rückkehr - so groß, dass er sofort ein riesiges Fest veranstalten lässt. Der verlorene Sohn ist wieder zu Hause - lasst uns feiern!
Wer von alledem nichts mitbekommt: der ältere Sohn. Während alle schon fröhlich feiern, ist er draußen auf dem Feld und verrichtet treu seine Arbeit. Man hat ihm nicht mal Bescheid gegeben. Er kommt von der Arbeit, hört nur Singen und Feiern und wundert sich.
Man kann sich vorstellen, wie es ihm da geht: Er ist natürlich stinksauer. Wütend weigert er sich, an dem Fest auch nur teilzunehmen. Doch sein Vater bittet ihn um Verständnis. „Mein Sohn … Du solltest fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden.“ (Die Bibel, Lukas 15,32)
Lässt sich der große Bruder davon überzeugen? Das wird nicht mehr erzählt. Als älteste Schwester von vier Geschwistern vermute ich aber mal: Einsicht mag es gegeben haben, Begeisterung sieht wahrscheinlich anders aus.
Sie werden’s schon bemerkt haben: Ich kann nicht anders als mit dem älteren Sohn mitzufühlen. Ist doch unfair, dass er sozusagen keine eigene Bushaltestelle bekommt, obwohl er immer alles richtig gemacht hat, oder? Und der Kleine, der nur Mist macht, bekommt gleich den ganz großen Bahnhof.
Ich gebe zu: Ich würde durchaus in Neid abgleiten, wäre da nicht die wahre Geschichte hinter dem Schild. Man erzählt sich im Dorf die Geschichte eines Sohnes, der in den Krieg gezogen ist und vom Vater schmerzlich vermisst wurde. Dieser Sohn kehrte nicht zurück.
Vielleicht hat der Vater immer gehofft: „Vielleicht kommt er ja doch noch!“ Geblieben ist die einsame Haltestelle. Bis heute erinnert sie daran: Gott ist wie ein Vater. Er gibt die Hoffnung nicht auf. Bei ihm finde ich Halt. Gesegneten Sonntag!
Quellen: Radio Vest/ Heimatverein Dorsten-Wulfen https://www.radiovest.de/artikel/kuriose-strassennamen-im-kreis-recklinghausen-1750099.html (letzter Abruf 12.07.2025)
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze