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Kirche in WDR 4 | 02.09.2025 | 08:55 Uhr
lebenslanges Lernen
Guten Morgen.
Das ganze Leben ist ein …. Nein, kein Quiz. Das vielleicht auch. Ein Lernen. Und zwar - wenn es gut läuft - ein „du darfst“ lernen, kein „du musst“ lernen.
Einer, der sich sein ganzes Leben fürs Lernendürfen eingesetzt hat, ist Nikolai Frederik Severin Grundtvig. Geboren 1783 in Dänemark. Der jüngste von fünf Geschwistern. Sein Vater ist Pfarrer, und Nikolai studiert auch Theologie und wird Pfarrer.
Zunächst sieht es so aus, als würde er dafür kämpfen, dass alles so bleibt wie zu Vaters und Großvaters Zeiten. Er verteidigt die alten lutherischen Dogmen und spricht sich gegen die neuen Ideen aus, die damals aufkommen. Aufklärung und Befreiung des Geistes kommen aus Frankreich, aus England. Eine neue Zeit. „Das ist nichts für Christen“, so argumentiert Grundtvig damals.
Andererseits liest sich seine ganze Biografie so, als ob er immer auf der Suche gewesen ist. Er schreibt viele Gedichte, er fährt nach England, lernt dort viele neue Dinge kennen, und am Ende kommt er zurück nach Dänemark und hat ganz neue Ideen.
„Wir müssen etwas tun für die Bildung der Menschen. Und zwar nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Erwachsenen. Wir müssen zu einem Prinzip des lebenslangen Lernens kommen. Aber zu einem Lernen mit Freude. Und ein gegenseitiges Lernen. Auch die Lehrer lernen von den Schülern.“
Dazu entwickelt Grundtvig die Idee der Heimvolkshochschule. Die Menschen kommen an einen schönen Ort, etwa an einen der zahlreichen Seen in Schweden. Da verbringen sie in einem Wohnheim ein paar Tage oder Wochen und lernen etwas Neues. Ein paar Grundbegriffe eines Handwerks, Philosophie, eine Sportart. Ganz bewusst außerhalb des Alltags, ausbrechen aus dem Bestehenden, sich und die Welt neu ausprobieren. Ohne Noten, ohne Druck, ohne Angst. „Das lebendige Wort“ nennt Pfarrer Grundtvig diese Idee. Im Wesentlichen ist es ein gegenseitiges Zuhören.
Die Heimvolkshochschule ist auch heute noch in den skandinavischen Ländern sehr beliebt und eine wichtige Stütze des Bildungssystems.
Ich finde es erstaunlich, wie ein Mann vor 200 Jahren solche Bildungsideale entwickeln konnte, die sich so modern anhören.
Im Deutschland des Jahres 2025 ist viel Luft nach oben, was die Wertschätzung von Bildung angeht. Das beginnt bei kaputten Schultoiletten und endet bei der Tatsache, dass lebenslanges Lernen bei uns oft mit einem drohenden Unterton gefordert wird. „Du wirst sonst abgehängt und bist nicht mehr erfolgreich!“
Mehr Geld in die Bildung, das ist das eine und sehr wichtig. Genauso wichtig finde ich, WAS gelernt wird: mehr Liebe zu sich selbst und zur Natur zum Beispiel. Und dass wir voneinander lernen, uns austauschen und mehr gegenseitig inspirieren.
Deutschland hat nicht viele Rohstoffe, aber wir haben Köpfe und Herzen. Die Köpfe und Herzen unserer Kinder und Jugendlichen und auch der Erwachsenen. Diese Rohstoffquelle können wir noch wesentlich besser nutzen.
Pfarrer Grundtvig hat sich selbst und seine Idee vom Lernen vor 200 Jahren weiterentwickelt. Vom drohenden Zeigefinger zum einladenden Hereinwinken. Vielleicht schaffen wir und unser Bildungssystem das ja auch.
Es grüßt Sie, Pfarrer Klaus Künhaupt aus Essen.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze