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Kirche in WDR 3 | 13.09.2025 | 07:50 Uhr
WUMMM !
Am Morgen, wenn der Tag noch nicht entschieden ist, da schießen einem ja manchmal merkwürdige Dinge in den Kopf. Ein Gedanke vielleicht — oder auch ein Bild, eine Stimmung — vielleicht gerad’ am Samstagmorgen.
Solche Stimmungen oder Atmosphären sind wichtig, wenn einem auch die Sache selber wichtig werden soll. Alles Entscheidende passiert in einem winzigen Augenblick: Tor oder Abseits. Glück oder Unglück. Und wenn es Liebe ist, dann doch oft auf den ersten Blick. Eine Halbsekunde — und alles ist klar. Mir geht das jedenfalls so. Als Theologe interessiert mich natürlich, ob das auch mit Gott so sein kann. Lässt sich über Verborgenes, also über das, was eben nicht direkt sichtbar ist, überhaupt etwas sagen? — Ich merk’: eine ganz schöne Zumutung für einen Samstagmorgen. Aber dafür gibt’s ja »Kirche im WDR«.
Die Zumutung, die mit der Frage nach Gott verbunden ist, die möchte ich an einem Bild deutlich machen. Und das stammt aus der vulkanischen Welt Islands: Am Horizont steigt heißer Dampf auf. Touristen versammeln sich um einen Kreis, der etwa so groß ist wie eine kleine Kapelle. Und in der Mitte, da blubbert es ein bisschen. Nichts zu sehen. Nichts los im Pool des Geysirs. Keine Spur von einem bewegenden Erleben. Denen, die bleiben, ist manchmal langweilig. Tief unten im Gebirge auf der heißen Lava, da ist was verborgen – und dann auf einmal:
WUMMM!!! Plötzlich, in einem Satz, 30 oder 40 Meter hoch springt der Geysir. »Boah!!!« – Das Verborgene zeigt sich in Gestalt einer heißen Springquelle. Spontan, ursprünglich findet der Mensch seinen Ort – und ist begeistert. Im selben Augenblick grübelt er nicht mehr, wer er ist und wie es ihm geht und warum nicht nichts ist, sondern er ist ek-statisch, ganz hineingenommen in das Phänomen. Er ist außer sich und gerade im selben Augenblick identisch mit sich: Das Machtvolle ist etwas Atmosphärisches, das den Menschen wie eine weite, räumliche Macht ergreift — und zugleich verändert. Plötzlich aus dem Schweigen, aus der Tiefe, dem Aushalten der Stille erwächst etwas überraschend Faszinierendes, etwas, das mitgeht, auch wenn ich längst wieder woanders bin.
Ist das nicht ein starkes Bild? Es begleitet mich nicht nur bei meiner Frage nach Gott. Es schenkt mir selbst einen tieferen Blick. Auch in Gesprächen erleb ich solche Momente. Da merken Menschen plötzlich: Da ist mehr. Mehr Bedeutung. Mehr Kraft. Mehr Leben. Ein Wort, das auf einmal trifft – und etwas öffnet. Da kommt was nach oben. Wie bei diesen Geysiren. Ein Impuls aus der Tiefe. Unverfügbar — und gerade deshalb echt.
Wir brauchen solche Tiefenbewegungen. Gerade heute, in dieser überhitzten Welt. Nicht noch mehr Rechthaben. Nicht noch mehr Lärm. Sondern Zuhören. Ein ehrliches Fragen, das nicht gleich Antworten will.
Was dabei herauskommt, lohnt sich. Und es wird einem manchmal ganz einfach — geschenkt. — Gratis. Oder Gnade. — Göttlich eben!
Tiefgänge dieser Art, die wünsch ich Ihnen — nicht nur heute am Samstag. — Ludger Verst, Köln.
*Mehr über Tiefgänge finden Sie im neuen Buch von Ludger Verst: Tiefentheologie. Von einem Gott, der zu Grunde geht. Texte zu Religion und Psychologie. Mit einem Vorwort von Klaus Kießling. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2025.