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Kirche in WDR 2 | 17.09.2025 | 05:55 Uhr
Drückeberger
Ich bin ein Drückeberger. Ich habe mal den Kriegsdienst verweigert. Damals gab es noch eine allgemeine Wehrpflicht. Wir hatten einen Ostblock und einen Westblock. Die einen waren für den Kapitalismus, die anderen für den Sozialismus. Dazwischen gab´s eine Mauer. Wer im Westen Zweifel an den menschenfreundlichen Absichten der USA geäußert hat, die BRD als abhängige Bananenrepublik bezeichnet hat, bekam zu hören: „Geh doch nach drüben!“ Wer gesagt hat: Die Aufstellung von Mittelstreckenraketen in Europa ist gefährlich – egal auf welcher Seite, hat zu hören bekommen, der Russe warte nur darauf, Deutschland zu überrollen.
Überhaupt: Die Parole der damaligen Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen“ galt als naiv. Wer den Kriegsdienst verweigerte, hat sich einer Gewissensüberprüfung vor Gericht unterziehen müssen. Wer aber bereit gewesen ist, mit der Waffe zu kämpfen und zu töten, musste sich nicht rechtfertigen.
Dann kam Michael Gorbatschow. Er hat das Freund-Feind-Denken beendet und eine Kooperation der Systeme angeboten. Mauern wurden eingerissen, Grenzen neu verabredet. Wir alle haben gedacht, das war´s. Ab jetzt arbeiten wir alle zusammen an einem Frieden, der trägt. Nur ein paar Hardliner, „Falken“ in den Hinterzimmern der USA und in Moskau haben kein Interesse daran gehabt, dass Europa von Wladiwostok bis nach Lissabon reicht.
Heute ist alles komplizierter. Es gibt keinen Ost- oder
Westblock mehr. Keine Alternative:
Kapitalismus oder Sozialismus. Es gibt nur noch Kapitalismus. Ausbeutung
und regionale Kriege finden nach wie vor statt. Schließlich verdient der
Kapitalismus daran. Der Russe will, so hören wir, wieder Europa überfallen.
Deswegen brauchen wir Mittelstreckenraketen. Der Kriegsdienst wird auch wieder
eingeführt. Träume ich? Nein. Es ist ein Alptraum! Wir haben es nicht geschafft,
den Falken die Flügel zu stutzen.
Zur Orientierung: Friedensfähig zu sein, ist was völlig anders als „kriegstüchtig zu werden“. Sich wehren zu dürfen, hat nichts mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr am Hindukusch zu tun. Hunderte von Milliarden werden nicht für eine neue Aufrüstung gebraucht, sondern gegen das Elend in der Welt. Die Anstrengung, Frieden ohne Waffen zu schaffen, ist nicht naiv, sondern alternativlos. Seit dem Ukrainekrieg ist bei der größten deutschen Waffenschmiede der Börsenkurs um das 18-fache gestiegen. Kein Wunder, dass Anleger und Rüstungsindustrie das anders sehen: Das mit dem Frieden schaffen ohne Waffen.
Quelle:
Management und Strategie: So reagieren Deutschlands Rüstungskonzerne auf den
Auftrags-Boom, 1.7.25, Quelle: dpa
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius