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Kirche in WDR 4 | 22.08.2025 | 08:55 Uhr
Klagepsalm
Guten Morgen.
Freitags sitze ich auf dem Friedhof.
Ich habe eine Kanne Kaffee und Zeit dabei.
Manchmal kommt einer und will reden.
Manche freuen sich einfach über einen Kaffee.
An einem Freitag im August kommt sie auf mich zu.
Ich würde sagen, sie stratzt auf mich zu.
Blaue Wildleder-Mokassins.
Das Hemd so weiß wie die Haare.
Passende Halskette.
Veilchenparfüm im Schlepptau.
Sie ist gepflegt und wirkt wie eine Frau in den besten Jahren.
Gar nicht wie über die 80 Jahre, die sie alt ist.
Sie setzt sich.
Dann fängt sie an zu reden.
„Gott, ich kann doch nicht klagen.
Ich kann ja nicht klagen.
Es geht gut.
Ich kann nicht klagen.
63 Jahre Ehe hatten wir.
Mein Mann und ich.
Und ich besuche ihn hier.
63 Jahre hatten wir, und dreimal haben wir schon Abschied genommen.
Er war für`s Außen und ich für's Innen.
Ich will nicht klagen.
Die Kinder sind weggezogen.
Aber sie rufen an. Jeden Sonntag.
Den Weg zum Grab schaff ich alleine.
Wir haben zusammen entschieden.
Mein Mann und ich: Ein Rasengrab soll es sein.
Eine Platte im Boden. Einfache Lettern drauf.
Nur der Name.
Kein Platz für Nippes und Blümchen.
So kann der Rasenmäher drüberfahren.
Und dann ist alles ordentlich.
Und wenn ich einmal nicht mehr kann, dann muss ich mich nicht schämen.
Schauen Sie sich doch mal um: die großen Gräber.
Wie viele von denen ungepflegt sind.
Wäre mir peinlich.
Aber ein Rasengrab…
Pflegeleicht.
Einfach mähen und gut.
Kein Platz für ein Blümchen und Erinnerung. ( - )
Gottseidank ist er im Winter gestorben.
Außerhalb der Mäh-Saison.
Da leg ich dann doch so ein kleines Gesteck hin.
Zu seinem Todestag.
Christrosen mochte er gerne…
Gott, ich kann dir nicht klagen.
Das alles kann ich nicht klagen.
Gott!
Auch nicht meine Mutter und meine Kindheit.
Kriegerwitwe war sie.
Von ihr habe ich gelernt, ordentlich zu sein.
Und praktisch.
Sie wollte mich nicht, hat sie gesagt.
Aber sie hat mich groß gemacht.
Ich kann nicht klagen.
Gott, ich hatte zu essen und später einen Beruf.
Die Kleidung war einfach, aber immer sauber und ordentlich.
Nein, nein. Ich kann nicht klagen, Gott.
Nicht über den 90. Geburtstag der Freundin.
Da wäre ich am liebsten im Boden versunken.
Alles Paare.
Nur ich nicht.
Da geh ich nicht mehr hin.
Die wollten mir einen Herrn an den Tisch setzen.
Gott!
Nicht die Sonntage kann ich klagen.
Ich bin da so… Nicht einsam!
Ich bin nicht einsam.
Ich kann nicht klagen.
Gott, ich kann nicht klagen.
Ich kann nicht.
Gott.“
Als sie weg ist, liegt ihr Veilchenparfüm noch lange in der Luft.
Länger noch klingen ihre Worte in mir nach.
Und ich denke:
Gott, wenn sie doch klagen könnte.
Amen.
Liebe Grüße aus Gummersbach,
Ihre Pfarrerin Anneke Ihlenfeldt.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze