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Kirche in WDR 2 | 03.11.2025 | 05:55 Uhr
Melatenlauf
Heute ist wieder Montag, und weil heute Montag ist ist das Wochenende auch schon wieder vorbei. Tja. Mit dem Wochenende ist der November gekommen. Ein schwieriger Monat, wie ich finde. Er passt zu einem Gefühl, was mein Jahr geprägt hat: Das Gefühl nämlich, verloren zu sein. Mit aller Unsicherheit und Angst, die dieses Gefühl mit sich bringt. Ich hatte im März eine Lungenembolie. Für ein paar Stunden war es sogar kritisch. Ich lag im Krankenhaus und habe langsam geahnt: Jeder Schritt, den du jetzt noch tust, könnte der letzte sein. Kein Gedanke damals an Sport und Bewegung! Dabei hatte ich mich im Oktober beim Kölner Halbmarathon angemeldet. Ein bisschen aus Übermut. Aber auch, weil ich gemerkt habe: Ich brauche noch mal ein Ziel. Wieder mehr Sport, wieder mehr Lebendigkeit. Aber in den Tagen im Krankenhaus und auch danach war der Gedanke an Sport und erst Recht an einen Halbmarathon sehr weit weg. Die Zukunft verschwindet, wenn der Atem stockt. Aber dann in der Reha-Klinik: Wieder aufstehen. Schritt für Schritt. Rauf aufs Fahrrad. Erste Kraftsportübungen. Zu Hause: Kurze Spaziergänge. Zwei Minuten, zehn. Dann eine erste Runde am Rhein. Mit dem Hund an meiner Seite. Das hat sich so gut angefühlt. Wie ein Versprechen an mich selbst: Es geht weiter. Dazu Fitnessstudio, Walken und erste Joggingversuche.
Anfang Oktober ist der Schrecken der Krankheit ein halbes Jahr her.Und tatsächlich stehe ich am 4. Oktober in Köln-Deutz am Start vom Halbmarathon. Mein Ziel: „Lauf so lange, wie es geht.“ Ich suche mir einen Tempoläufer, der die Strecke in 2:30 schaffen will. Also nicht zu schnell. „Wie ein guter Freund“, denke ich, „der mich mitzieht.“ Die ersten Kilometer gehen besser, als ich dachte. Bis etwa Kilometer zehn laufe ich locker mit. Ein Wahnsinnsgefühl. Dann werden die Beine schwerer. Ich muss den Gefährten ziehen lassen. Bei Kilometer zwölf steige ich aus. Wir laufen gerade an Melaten vorbei. Das ist der größte Friedhof Kölns. Da stockt mein Schritt nicht aus Erschöpfung allein, sondern aus Erleichterung. Hinter den Mauern ahne ich die Grabsteine, die Toten, die Ruhe – und ich, lebendig, ich atme. Ich habe es geschafft. Nicht 21 Kilometer, aber zwölf – mehr, als ich im März für möglich gehalten hätte. Und der Friedhof, der liegt hinter mir. Und heute denke ich an alle, die in diesen Tagen an ihrem persönlichen Melatenfriedhof stehen. An irgendeinem Ort, der sie mit Grenzen konfrontiert. Innerer Not, Düsternis, Kraftlosigkeit, Krankheit und Tod. Dem Gefühl, nicht mehr weiter zu können. Aber gerade dort, zwischen Gräbern und Stille, beginnt womöglich der Weg zurück. Die Bibel spricht davon: „Wenn ihr durch Wasser gegangen seid, ich bin bei euch; und durch Ströme, so sollen sie euch nicht ersäufen.“ (Jesaja 43,2) Gott sagt nicht, dass wir immer verschont bleiben – aber er verspricht, dass er uns nicht aufgibt. Denen die glauben, es geht nicht mehr weiter – denen wünsche ich einen Gefährten, jemanden, der sie unterhakt. Eine Hilfe für den ersten Schritt. Und dann Schritt für Schritt, mit neuer Luft, dem Leben entgegen. Auch im November. Und nicht nur an diesem Montagmorgen.
