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Das Geistliche Wort | 27.07.2025 | 08:40 Uhr
Die Tür zur Hoffnung öffnet sich
Autorin: Der köstliche Duft nach frisch geröstetem Kaffee zieht durch den Raum. Wir erleben die traditionelle äthiopische Kaffeezeremonie: Hinter einem niedrigen Tisch sitzt eine ältere Äthiopierin in einem weißen Baumwollkleid auf einem Schemel. Vor dem Tisch hat sie den Boden mit frischen Grashalmen und farbenfrohen Blüten bestreut. Nicht nur für die Zunge, sondern auch für die Augen ist die Kaffeezeremonie ein Fest. Eben noch hat die Frau die grünen Kaffeebohnen verlesen, dann über einem Kohleofen geröstet. Jetzt kommt sie mit der Pfanne zu uns und fächelt uns den Duft zu. Dann zerstößt sie die Bohnen zu feinem Pulver. Das kommt in eine Kanne aus Ton mit einem halbkugelförmigen Boden. Sie fügt Wasser hinzu und setzt die Kanne auf die Kohlen. Weihrauch wird entzündet, der geheimnisvollste Teil der Zeremonie beginnt, das Auf- und Umgießen des Kaffees, bis sie ihn schließlich heiß und duftend aus der schmalen Tülle der Kanne in die kleinen Tässchen auf dem Tablett gießen kann. Äthiopien ist das Land des Kaffees. Die edelsten Sorten werden hier angebaut, und die Kaffeezeremonie ist ein Stück Tradition, das Menschen hier zueinander bringt. Wer so zusammensitzt und in Ruhe den Kaffee genießt, kommt auch gut ins Gespräch.
Musik 1: The sound of music
Interpret: Feven Yoseph; Album: Chanting Soul; Label: Feven Yoseph; LC: unbekannt
Autorin: Wir, eine kleine Reisegruppe aus der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde in Bad Salzuflen, begegnen unseren Partnern und Freunden in Äthiopien. Sie gehören zur Mekane-Yesus-Kirche, der großen und schnell wachsenden evangelischen Kirche am Horn von Afrika. Ihre Projekte unterstützen wir seit vielen Jahren. Die Begegnung findet in Addis Abeba, der Hauptstadt des ostafrikanischen Landes statt. Es geht um das neue Projekt, das Anfang 2025 begonnen hat und das wir zusammen mit der italienischen Hilfsorganisation Amare Onlus fördern. Es heißt RoD – Renewal oft Dignity – Erneuerung der Würde. Es ermöglicht jungen Frauen, aus der Prostitution auszusteigen, in die sie aus wirtschaftlicher Not geraten sind. Angesiedelt ist es in Bahir Dar im Norden des Landes. Bahir Dar ist die drittgrößte Stadt Äthiopiens und liegt am Tana-See, wo der Blaue Nil entspringt und auch die berühmten Nilfälle zu bewundern sind.
Ich frage Ato Teshome, den Leiter des Projektes vor Ort, wie er auf darauf gekommen ist, diese Hilfe anzubieten.
O-Ton 1 (englisch)
Sprecher (overvoice):
Zunächst: Eines Tages kam eine der Frauen in mein Büro und sagte, dass sie ein Baby habe, einen Sohn, aber dass sie nicht wisse, wer der Vater ihres Kindes sei. Sie arbeitete als Sex-Arbeiterin, als Prostituierte, und so traf sie zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Männer an verschiedenen Orten und wusste deshalb nicht, wer der wirkliche Vater ihres Kindes war. Als ich diese Geschichte hörte, berührte sie mich total, und ich kam auf die Idee, diese Gruppe von Frauen zu unterstützen, die in der Prostitution arbeiten, und ihnen zu helfen, da herauszukommen. Und das war dann der Impuls für das Projekt, so wie es jetzt für 60 Frauen angefangen hat. Das ist die Idee, die mir in den Sinn kam.
Autorin: Der Anstoß zu diesem Projekt ist von unseren Partnern gekommen, nicht von uns hier in Deutschland, in Bad Salzuflen. Seit vielen Jahren arbeiten wir mit der Evangelischen Kirche in Äthiopien zusammen, die über 14 Millionen Mitglieder hat. Von ihr gehen die Impulse aus, die wir dann aufgreifen. Wir besprechen miteinander, was möglich ist, wie die Finanzierung aussehen kann, und wir denken miteinander darüber nach, wie den Menschen im Projekt am besten geholfen werden kann. Auf diese Weise haben wir schon Waisenkinder in neuen Familien untergebracht und bis zum Schulabschluss gefördert oder Frauen, die von ihren Ehemännern verstoßen wurden, darin unterstützt, sich eine eigene wirtschaftliche Existenz aufzubauen, vor allem aber, ihre Würde wiederzufinden. Jedes Mal, wenn ich die Möglichkeit habe, das Land und auch die Projektarbeit zu besuchen, kann ich es kaum fassen, wie sehr nur ein Jahr Unterstützung einen Menschen verändern und wieder aufrichten, ja förmlich zum Strahlen bringen kann.
Musik 2: Tizita
Interpret: Feven Yoseph; Album: Chanting Soul; Label: Feven Yoseph; LC: unbekannt
Autorin: Der Kaffeeduft lässt meine Gedanken wandern. Jetzt können wir aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Lage in Äthiopien die Hauptstadt nicht verlassen. Zu gefährlich sind die immer noch andauernden Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Widerstandskämpfern. Es gibt Überfälle, Plünderungen, Menschen verschwinden einfach, die Angst der Bevölkerung ist groß. Ich erinnere mich an die Reisen über Land, die ich zu ruhigeren Zeiten schon machen konnte. Wenn es morgens hell wird über den kleinen Hütten, steigt der Rauch durch die Grasdächer auf. Der Duft nach frisch geröstetem Kaffee breitet sich aus, die ersten Vögel singen, schemenhaft erkennt man in der Morgendämmerung die Menschen in ihren weißen Baumwollgewändern, die sich auf den Weg machen. Zum Wasserholen. Aufs Feld. Zur Arbeit. Zur Schule. Wunderschön sind sie oft anzusehen, aufrecht, zurückhaltend, freundlich. Viele strahlen Anmut und zugleich eine besondere Stärke aus, Tapferkeit. Ich empfinde das als Schönheit, innere und äußere Schönheit, fernab von all den Maßstäben, die wir heute oft über social media verinnerlichen. Schönheit, die mich berührt. Jeder Mensch ist etwas Wunderbares, denke ich dann. Von Gott gesehen, mit Würde ausgestattet. So beschreibt es Psalm 139:
Sprecherin: Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war. Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß! Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand! Wenn ich aufwache, bin ich noch immer bei dir.
Autorin: Diese Schönheit, zum Beispiel die Würde einer jungen Frau, geht oft verloren, wenn sie von ihrem Mann verlassen wird. Das kommt in Äthiopien leider oft vor. Dann steht sie, meist ohne Ausbildung und rechtlich nicht abgesichert, mit ihren Kindern auf der Straße, und vielfach bleibt dann nur der Weg in die Prostitution, um wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. An Markttagen. In der eigenen kleinen Unterkunft. In Häuserecken. Darüber haben wir im Vorfeld des Projektes immer wieder und oft leidenschaftlich diskutiert, dass es nicht darum geht, ein moralisches Urteil mit diesem Projekt zu verbinden. Es gibt durchaus Frauen, die freiwillig als Sex-Arbeiterin arbeiten, und dann ist das eine individuelle Entscheidung. Die Frauen, um die es uns geht, haben keine Wahl. Und sie erleiden oft genug Gewalt und Demütigungen. Ich frage den Projektleiter danach, nach welchen Maßstäben die Frauen ausgewählt werden. Die Auswahl trifft in diesem Fall die Verwaltung des Stadtviertels, in dem sie leben.
O-Ton 2 (englisch)
Sprecher (overvoice):
Es gibt verschiedene Kriterien, die Frauen auszuwählen, aber das Hauptkriterium ist, dass es solche Frauen sind, die es wirklich leid sind, sich zu prostituieren und die unzufrieden mit dieser Art zu leben sind. Das zweite Kriterium ist, dass die Frauen jeweils eine Registrierung in der Kommune haben müssen. Das dritte Kriterium. Sie sollen bereit sein, sich medizinisch untersuchen zu lassen, z.B. im Blick auf HIV-Aids oder Geschlechtskrankheiten. Außerdem müssen sie bereit sein, mit den Mitarbeitenden zusammenzuarbeiten. Sie dürfen nicht gleichzeitig von anderen Organisationen gefördert werden.
Autorin: Auf die Frauen kommt dann eine
große Herausforderung zu. Sie werden für die erste Zeit finanziell unterstützt,
damit sie wirklich aussteigen können. Aber es braucht Zeit, die Lebenssicht zu
verändern. Selbstvertrauen und Selbstachtung wiederzufinden. Ich bin froh
darüber, dass es für dieses Projekt auch psychotherapeutische Unterstützung vor
Ort gibt, und aus früheren Projekten haben wir die Erfahrung mitgebracht, dass
es zwei wesentliche Säulen der Arbeit gibt: die Mitarbeitenden besuchen die
Frauen ganz regelmäßig, hören ihnen zu, beraten sie, das ist das eine. Und das
andere: Die Frauen organisieren sich in Selbsthilfegruppen, unterstützen
einander und lernen gemeinsam z.B.
mit
Geld umzugehen und erste Schritte in die Selbständigkeit zu tun.
Musik 3: Holy spirit
Interpret: Feven Yoseph; Album: Chanting Soul; Label: Feven Yoseph; LC: unbekannt
Autorin: Man kann sich natürlich fragen: Was ist das schon, 60 Frauen in Bahir Dar, einer Stadt im Norden Äthiopiens mit fast 500.000 Einwohnern? Ist das nicht bloß ein Tropfen auf den heißen Stein? – „Ich danke dir, dass ich wunderbar gemacht bin“, mir kommt der Psalmvers wieder in den Sinn. Jeder einzelne Mensch ist Gottes unverwechselbares Geschöpf, verstehe ich, jeder Mensch hat seine eigene, seine einzigartige Schönheit und Würde. Und wenn es gelingt, wenigstens 60 Menschen diese Würde zurückzugeben, dann ist die Welt anders geworden als zuvor. Sie ist nicht mehr die gleiche. Ich habe die Fröhlichkeit der Lieder im Ohr, die ich von Frauen und Mädchen in Äthiopien gehört habe:
O-Ton 3 (Musik) Choir of Ursuline sisters
Autorin: Jetzt, ein paar Monate, nachdem das Projekt begonnen hat, gibt es erste Erfahrungen. Erfahrungen mit der Struktur der Arbeit, die wir mit den Partnern ausgedacht haben. Vor allem aber Erfahrungen damit, wie das ist, wenn sich die Welt verändert, weil ein Mensch zu seiner Würde zurückgefunden hat. Ajebush Admasu hat uns erzählt, wie es ihr ergangen ist:
Sprecherin: Mein Name ist Ajebush Admasu. Ich bin 35 Jahre alt und Mutter von drei Kindern: zwei Jungen und ein Mädchen. Ich lebe in Bahir Dar im Stadtviertel Nummer 5. Meine Eltern waren Bauern in einem Ort, der Merhawi heißt, aber ich habe sie verloren, als ich noch ganz klein war. Da hat meine Tante, die in Bahir Dar lebte, mich zu sich genommen und gesagt, sie würde für mich sorgen. Weil es aber kein Geld für meine Schulbildung gab, wurde ich mit 13 Jahren gegen meinen Willen verheiratet. Meine Ehe dauerte 18 Jahre und endete dann mit der Scheidung, weil mein Mann ein schlimmer Alkoholiker war. Nach der Trennung musste ich meine Kinder allein versorgen. Um zu überleben, habe ich erst begonnen, in Cafés zu arbeiten. Weil es finanziell aber immer schwieriger wurde, habe dann auch als Sex-Arbeiterin angefangen. Das war niemals etwas, was ich tun wollte, aber ich habe einfach keine andere Möglichkeit mehr gesehen.
Autorin: Ajebush Admasu geht es wie vielen anderen Frauen. Sie muss ihre Kinder ernähren. Doch Sex-Arbeit bedeutet ein schmerzhaftes Leben.
Sprecherin: Es zerstört dein Selbstwertgefühl, deine Würde und die Weise, wie du dich als Frau fühlst. Es ist ein harter, demütigender Weg, und obwohl ich das nicht wollte, habe ich um der Kinder willen weitergemacht. Schließlich, und durch Gottes Güte, bin ich mit der Organisation in Kontakt gekommen, die mein Leben verändert hat. Durch die Schulung, die sie mir ermöglicht, habe ich Wissen, Heilung und eine neue Perspektive für mein Leben bekommen. Sie gab mir die Kraft, die schmerzhafte Vergangenheit hinter mir zu lassen und neu anzufangen. Mit der finanziellen Unterstützung, die ich bekommen habe, habe ich einen kleinen Kiosk aufgemacht. Ich verkaufe nun Nudeln, Linsen, Kaffee und Tee. Ich arbeite hart, um die Kinder und mich durchzubringen, und es gelingt. Ich danke Gott, dass er mir geholfen hat, meinem schrecklichen Dasein zu entkommen, und ich bin der Organisation und ihren wunderbaren Mitarbeitenden von Herzen dankbar, dass sie mir so zur Seite stehen und mir diese Chance gegeben haben.
Musik 4: Love
Interpret: Feven Yoseph; Album: Chanting Soul; Label: Feven Yoseph; LC: unbekannt
Autorin: In das Projekt werden Frauen aus ganz verschiedenen Ethnien aufgenommen. Zusammen mit der Bezirksregierung werden sie von den Projektleitern ausgewählt: Die Religionszugehörigkeit ist dabei kein Kriterium. Ich frage Ato Teshome, Mitglied der evangelischen Gemeinde in Bahir Dar, wie er das Projekt im Zusammenhang mit seinem Glauben versteht.
O-Ton 4 (englisch)
Sprecher (overvoice):
Grundsätzlich ist unsere Organisation, die Mekane-Yesus-Kirche, eine geistliche Gemeinschaft. Wie Du weißt, arbeitet die Mekane-Yesus-Kirche in allen Regionen Äthiopiens und hat gegenwärtig mehr als 14 Millionen Mitglieder. Aber im Blick auf die Frauen im Projekt gibt es keine direkte religiöse Einflussnahme. Wir haben wohl eine Kirche vor Ort und auch Mitglieder dort, und die beten für die Frauen und auch für die Mitarbeitenden für ein gutes Leben und Frieden. Aber direkt wirken wir in keiner Weise religiös auf die Frauen im Projekt ein. Das ist auch von der Kommune her nicht erlaubt.
Autorin: Die kleinen Kaffeetassen sind längst wieder auf dem Tablett gelandet. Wir reden noch immer, angeregt, freundschaftlich und manchmal auch kontrovers, so lange, bis wir eine Lösung für die einzelnen Schritte des Projektes gefunden haben. Wie viele Handgriffe, wieviel Geduld waren nötig von der unscheinbaren Kaffeebohne zum köstlichen Getränk, rösten, mahlen, aufkochen, umgießen… Wie viele Schritte, wieviel Geduld sind nötig, um einem Menschen, der in Not und Demütigung geraten ist, seine Würde zurückzugeben? Wie lange wird dieses wunderbare Land Äthiopien, das sich leicht selbst ernähren könnte, noch im Kriegszustand verharren? Wie lange müssen Menschen dort hungern und nicht selten ihren Körper verkaufen? Eine einfache Antwort habe ich nicht, aber ich denke an den Psalm, der diesen Überschuss der Möglichkeiten Gottes beschreibt: „Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken! Wie ist ihre Summe so groß! Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand! Wenn ich aufwache, bin ich noch immer bei dir.“
Oft genug überfällt mich der Zweifel, und ich hadere mit den geringen Möglichkeiten, die wir haben. Dann leitet mich der Psalm dazu an, Gott mehr zu trauen als meinen eigenen Kräften. Und wenn ich die Schönheit, die Würde der Menschen in Äthiopien vor Augen habe, dann begegnen mir darin die Schönheit und die Wunder Gottes. Grund genug, beharrlich das zu tun, was möglich ist.
[äthiopischer Segen]
Das heißt: Gott segne Sie! Herzlich grüßt Sie Steffie Langenau aus Bad Salzuflen.
Musik: Ambasel
Komponist/Interpret: Theodros Mitiku; Album: Hsabe; Label: Nahom Records Inc; LC: unbekannt.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth