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Kirche in WDR 3 | 02.12.2025 | 07:50 Uhr
Warten auf das Sommerloch
Wenn mich zurzeit jemand fragt, wie’s mir geht, dann antworte ich meistens: „Ich warte immer noch vergeblich auf das Sommerloch.“
Ja, ich fühle mich gestresst. Ich warte tatsächlich auf Ruhe. Das Sommerloch – das war das, was ich dachte, was mir Entspannung bringt. Ferien, weniger Termine, ein bisschen Durchatmen. Aber irgendwie… dieses Loch ist dieses Jahr nicht gekommen. Stattdessen: viele Aufgaben, viele Termine, viele Hüte, die ich gleichzeitig tragen muss. Und kaum hab ich mich versehen, ist plötzlich schon Advent. Und der Advent – der bedeutet für mich, als pastorale Mitarbeiterin – noch mal mehr: Noch mehr zu tun, noch mehr vorzubereiten, noch mehr Menschen, die etwas brauchen. Und wenn ich dann ehrlich bin, find ich’s selber befremdlich, wie sehr ich mich stressen lasse. Von was eigentlich? Von wem? Und warum?
Wenn ich an Advent denke, denke ich an meine Kindheit: An das aufgeregt sein, an Plätzchenduft, an den Adventskalender, an Abende mit meinen Großeltern und mit unserer großen Familie. Ich denke an Lachen, an Geborgenheit – nie an Stress. Und heute? Heute ist der Advent für viele oft das Gegenteil davon. Natürlich, als Erwachsene haben wir mehr Verantwortung.
Aber manchmal frage ich mich: Wann haben wir verlernt, einfach zu warten – im guten Sinn? Warten auf Weihnachten, auf das Licht, auf die Freude. Nicht mit Termindruck, sondern mit Herzklopfen. Vielleicht sollten wir’s versuchen – gerade jetzt. Einmal wieder Kind sein. Wieder Seelenruhe haben. Seelenruhig warten können – im Advent.
Und dann schau ich, was die Bibel sagt zum Thema Ruhe. Und dann treffen mich die uralten Worte des Propheten Jeremia:
„So spricht der Herr: Stellt euch an die Wege und haltet Ausschau, / fragt nach den Pfaden der Vorzeit, fragt, wo der Weg zum Guten liegt; / geht auf ihm, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele! (Jer 6,16)
Das sitzt: Wie kann ein Mann, der vor 3.500 Jahren lebte, genau das ausdrücken, was ich auch fühle? Die „Pfade der Vorzeit“ – das nehme ich persänlich. Das ist doch mein Wunsch: Einmal wieder Kind zu sein. Uns freuen, ohne gleich an die To-do-Liste zu denken. Uns auf die schönen Dinge konzentrieren. Im Hier und Jetzt leben. Vielleicht wäre das der Anfang von dem Sommerloch, das wir eigentlich das ganze Jahr über brauchen – nur eben mitten im Advent. Vielleicht gibt uns das Ruhe für die Seele .
Es grüßt Sie herzlich aus Krefeld,
Michelle Engel
