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Das Geistliche Wort | 21.12.2025 | 08:40 Uhr

In Erwartung

Es ist etwas aus der Mode gekommen, Weihnachtskarten per Post zu verschicken. Das passiert immer mehr auf digitalem Wege. Aber ich freue mich immer noch sehr darüber, so eine Karte richtig in der Hand zu haben. Und erst neulich habe ich eine außergewöhnliche Weihnachtskarte erhalten. Sie fiel ganz aus dem Rahmen: Keine Kerzen, Kugeln oder Glitzer waren darauf zu sehen, auch nicht das klassische Bild vom Kind in der Krippe, sondern ein zugiges Omnibushaltehäuschen neben einem typischen Omnibushalteschild in sternenklarer, finsterer Nacht. Das Ganze nicht in Hochglanz, sondern als ein Linolschnitt, in schwarz-weiß. In dem Bushäuschen
ein Paar mit einem Baby auf dem Schoß. Und diese Drei bildeten den hellsten Fleck auf dem Bild. Dann noch drei weitere Gestalten: Offenbar ganz zufällig sind sie hier und
umrahmen das Paar mit Kind. Komisch nur: Niemand hält nach einem Bus Ausschau, wie man es erwarten würde, sondern alle blicken gebannt auf das Kind im Schoß der Mutter. Im oberen Bildteil überstrahlt in der Mitte ein besonders großer, in alle Himmelsrichtungen weisender Stern die Szene. Und damit ist klar: Es handelt sich doch um ein Weihnachtsbild. Nur: Die Geburt Jesu ist übertragen worden in unsere Zeit und Umgebung.

Guten Morgen. Ich bin Schwester Ancilla Ernstberger vom Michaelskloster in Paderborn.


Musik I: Nun komm, der Heiden Heiland


Die ungewöhnliche Darstellung auf der Weihnachtskarte geht mir nach. Anstelle einer Idylle strahlt der Linolschnitt unwirtliche Kälte aus. Das Unbehauste des zugigen Bushäuschens knüpft offensichtlich an die vergebliche Herbergssuche von Maria und Josef an und vermittelt den Eindruck von Armut und Ausgeschlossensein. Die Ankunft Jesu, des Sohnes Gottes in der Welt – sie geschieht am Rande, unbemerkt und unerwartet – damals wie heute. Gott drängt sich nicht auf, sondern ist eher unsichtbar anwesend – wie zufällig an einer Bushaltestelle.

Der Künstler des außergewöhnlichen Bildes hat wohl absichtlich eine Bushaltestelle gewählt als Ort der Geburt Jesu. Für mich symbolisiert sie vor allem eines: das Warten. Und das steht in einer Zeit der Beschleunigung nicht sonderlich hoch im Kurs. Zwar suchen manche Menschen danach, wie sie ihr Leben entschleunigen können, aber oft werden wir doch von unseren Aufgaben getrieben und kommen nicht zur Ruhe. So wundert es nicht, wenn Menschen dadurch sogar krank werden. Ich vermute: Eine „Haltestelle“ im Leben zu entdecken und sie auch jederzeit nutzen zu können, das wünschen sich sicherlich viele Menschen. Immerhin mahnte Angelus Silesius, Arzt, Philosoph und Mystiker, bereits im 17. Jahrhundert: „Halt an, wo läufst du hin, der Himmel ist in dir, suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“[1] Ich weiß auch: Vielen Menschen fehlt der Mut, innezuhalten. Denn wer weiß, was da alles aufbricht, sobald sie zur Ruhe kommen?

Gerade im Advent, nach christlicher Tradition eine stille Zeit, die der Einkehr dienen soll, verausgaben sich viele Menschen durch erhöhte Geschäftigkeit. So wundert es mich nicht, wenn kurz vor Weihnachten einige erschöpft äußern: „Wenn nur der ganze Rummel schon vorbei wäre.“ Dabei steht der Höhepunkt, das Weihnachtsfest, erst noch bevor!

Aus meiner klösterlichen Lebensform, zu der immer wieder Einkehr und Stille gehören, weiß ich: Es ist keineswegs leicht, sich von äußeren oder inneren Antreibern zu verabschieden; denn es bedarf der eigenen Entscheidung, innezuhalten und sich nicht länger treiben zu lassen. Und kurios ist es doch: Während für viele Erwachsene die Zeit oft viel zu schnell verfliegt, sie sich um so gehetzter fühlen, je näher Weihnachten heranrückt, für Kinder dehnt sich die Zeit des Wartens auf Weihnachten oft ins Unermessliche.


Musik II: Klaus Fessmann und Georg Baum, Veni, veni Emmanuel


Ich kehre noch einmal zum ungewöhnlichen Weihnachtsbild mit der Bushaltestelle zurück. Auch hier passt die Ruhe nicht ins Bild, denn die Bushaltestelle lädt nicht zum Bleiben ein. Niemand richtet sich hier häuslich ein; alle wollen von hier möglichst schnell weiter.

So wichtig Haltestellen im Leben auch sind, als Ziel taugen sie nicht. Mit dauerhaftem Anhalten und Stehenbleiben komme ich nicht weiter. Bewegung gehört zum menschlichen Leben. Und so heißt es zurecht in einem modernen evangelischen Lied: „Leben heißt: sich regen“[2] Und wenn ich es ganz biblisch machen will, dann sagt Jesus von sich selbst: „Ich bin der Weg“[3]. Und das trifft genauso zu. Immerhin ist er Gottes Sohn, der ein Mensch wird und auf die Welt zu uns kommt. Echte Bewegung, echter Wandel.

Und indem der Künstler die Menschwerdung Jesu statt in einem Stall in einer Bushaltestelle verortet, zeigt er das. Ja, mehr noch: In unseren Innenstädten treffe ich an Bushaltestellen oft Menschen ohne festen Wohnsitz, die Schutz vor Regen und Kälte suchen. Und genau in diese Welt tritt Gott ein, in die Welt der Obdachlosen, die kein Zuhause haben. Ich muss gestehen: ich ertappe mich dabei, dann von Menschen zu sprechen, die eher am Rande der Gesellschaft leben. Und indem ich Menschen so einteile, offenbare ich bereits mein schräges Denken und meine Einstellung. Solch eine Redeweise spiegelt die Tendenz wider: Man unterscheidet zwischen Menschen, die als Teil unserer Gesellschaft akzeptiert sind in der Mitte und anderen, die nicht dazugehören, die am Rand leben, um die ein Bogen gemacht wird. Dabei ist Gott Mensch geworden „für alle“. Nichts anderes bedeutet das Wort „Omnibus“. Es ist der Schlüssel für die gute Nachricht, die das Weihnachtsfest für alle bereithält: Die Menschwerdung des Sohnes Gottes betrifft ausnahmslos alle Menschen. Omnibus fahren und eine Omnibus-Haltestelle bekommen, so verstanden, für mich auf einmal eine ganz andere Bedeutung: Mittendrin, mit allen.

Jesus selbst war mittendrin und hat sich wohl auch deswegen immer wieder gegen gesellschaftliche Polarisierungen gewendet. Besonders treffend hat das einmal der Apostel Paulus formuliert: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“[4] Das Handeln Jesu bezieht sich auf alle. An seinem Leben lässt sich ablesen, dass sich Gott uneingeschränkt jeder und jedem zuwendet. Was für eine Solidarität!


Musik III: Johann Sebastian Bach, Wachet auf, ruft uns die Stimme


Und ich schaue noch einmal auf das ungewöhnliche Bild mit der heiligen Familie im Omnibushäuschen. Was auffällt: Von dem kleinen Kind, das im Schoß seiner Mutter ruht, gehen Strahlen aus. Es ist die „Lichtquelle“ der ganzen Szene. Und genau das sagt dann auch
ein Satz aus dem Evangelium nach Johannes, der unter dem Bild steht: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“[5] Und bemerkenswert: Johannes schreibt vom „wahren Licht“. Wenn es ein „wahres Licht“ gibt, dann muss es logischerweise wohl auch ein falsches Licht geben; ich würde sagen: ein trügerisches Licht. Der Ausdruck „jemanden hinters Licht führen“ weist darauf hin. Da soll jemand absichtlich getäuscht werden. Mit glänzender Rede wird da jemandem etwas Erstrebenswertes oder Schönes vorgegaukelt, aber es handelt sich um leere Versprechen, die sich nicht erfüllen. Oder im politischen Jargon: Es werden „alternative Fakten“ genannt, „fake news“.

Dabei sehnen wir Menschen uns doch zweifellos nach verlässlichen Informationen, nach sicheren Erkenntnissen. Im Bild gesprochen: Menschen brauchen Licht, um sich zu orientieren. In der Dunkelheit empfinden viele Menschen oft Angst, vor allem Kinder. Und so wundert es auch nicht, dass Hell und Dunkel nicht nur für äußere Lichtverhältnisse stehen, sondern auch für Gefühle:
Da schaut jemand düster drein, weil er oder sie verzagt ist. Oder da strahlt jemand und verbreitet Zuversicht. Und: Licht kann dazu beitragen, dass sich mein Gemütszustand aufhellt. Es gibt sogar Lichttherapien gegen Depressionen.

Kein Wunder, dass „Licht“ als Metapher für Gott eine wichtige Bedeutung spielt: Mit Jesu Geburt ist das wahre Licht in die Welt gekommen, das jeden Menschen erleuchtet, so die biblische Botschaft. Und in verschiedenen Redewendungen wird mir das auch deutlich: Geht mir zum Beispiel „ein Licht auf“, spreche ich von einer Erkenntnis. Die bleibt nicht nur für einen Moment, sondern schenkt vielmehr tiefe Einsicht. Und gerade für mein religiöses Leben kann ich sagen: Indem ich dem „wahren Licht“ Zutritt in mein persönliches Leben gewähre, werde ich mit meiner eigenen Wahrheit konfrontiert. Ich erkenne, wie es um mich steht, welche Licht- und welche Schattenseiten mich prägen. Das soll mich nicht einschüchtern, sondern will mich frei machen.

Dass Jesus als das „wahre Licht“ in die Welt gekommen ist, hat für mich noch eine weiterführende Bedeutung. Im Johannesevangelium heißt es von Jesus als dem Licht: „Er war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“[6] Johannes deutet hier an, wie es um die Aufnahme Jesu in der Welt steht. Ganz offensichtlich kommt er nicht bei allen gut an. Mit seinen Worten und seinem Handeln eckt er bei vielen an, besonders bei den politischen und religiösen Führern, die ihre Machtfülle bedroht sahen. So spitzt sich die Lage zu: Jesus wird verfolgt und brutal hingerichtet, indem man ihn ans Kreuz nagelt. Hier zeigt sich, wie sehr er abgelehnt wurde.

An Jesus und seiner Lehre scheiden sich die Geister, damals wie heute. Durch seine Menschwerdung kam vieles ans Licht, was eigentlich im Dunkeln hätte bleiben sollen. Was heißt es nämlich, wenn die Macht der Mächtigen hinterfragt wird und die Ohnmacht zum Ziel führt? Was heißt es, wenn Hass nicht das letzte Wort hat und Vergebung neue Perspektiven eröffnet? Was heißt es, solidarisch zu sein und zu teilen, statt den eigenen Besitz nur zu vermehren? Das sind immer gültige Fragen, im Großen wie im Kleinen. Auf politischer Ebene und auf persönlicher. Ihre Antwort könnte Licht in die Welt bringen.


Musik IV: Philipp Nicolai, Wie schön leuchtet der Morgenstern


Noch vier Tage bis Weihnachten. Ich selbst habe es in der Hand, ob ich mich noch in den letzten Einkaufstrubel stürze oder etwas von mir schenke: zum Beispiel meine Zeit für einen Menschen, den ich schon lange besuchen wollte. Würde es nicht vielleicht etwas menschlicher werden in dieser unserer Welt? Immerhin: Gottes Geschenk an uns ist die Menschwerdung seines Sohnes, damit die Welt menschlicher wird. Indem Gott Mensch wird, gewährt er uns einen Blick hinter die Kulissen. Denn für ihn selbst war die Menschwerdung nicht notwendig. Aber sie lässt darauf schließen, was ihm der Mensch bedeutet. Gott hat eine Schwäche für den Menschen, für jeden von uns, egal, wer er ist und was er ist, egal, was er kann und hat und was nicht, egal, was er getan hat und was nicht.

Und eine Schwäche für jemand anderen zu haben, das heißt, einen anderen zu mögen, sich zu ihm hingezogen fühlen, heißt, Zuneigung zu empfinden, sich um ihn zu sorgen, ja – zu lieben. Wer eine Schwäche für einen anderen Menschen hegt, macht sich selbst verletzlich, verwundbar und kann enttäuscht werden. Und das heißt auch: Am Leben und am Sterben Jesu lese ich ab, dass Gottes Schwäche für uns Menschen echt ist. Seine Liebe geht bis zum Äußersten.

Und genau das macht etwas mit mir. Es stimmt mich zuversichtlich, gibt mir Gelassenheit und ein richtiges Maß an Selbstbewusstsein. Und es lässt mich sogar manchmal „froh und munter“ sein, wie es in einem Nikolauslied heißt. Ich darf mir immer wieder bewusst machen: Gottes Schwäche kann mich überall erreichen, sogar an einer einfachen Omnibushaltestelle.

Ich bin Schwester Ancilla Ernstberger aus dem Michaelskloster in Paderborn und wünsche Ihnen noch eine gute Zeit bis Weihnachten!


Musik V: David Evans, For the beauty of the earth


[1] Angelus Silesius, Cherubinischer Wandersmann, 1675.
[2] Klaus Peter Hertzsch, Vertrau den neuen Wegen, 1989. Zitiert nach EGB, Nr. 395. [3] Vgl. Joh 14,6. [4] Gal 3,28. [5] Joh 1,9. [6] Joh 1,10f.


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