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Sonntagskirche | 19.10.2025 | 08:55 Uhr
Desconectado
Guten Morgen!
Keine Balken mehr rechts oben auf dem Handy, kein Netz: Mist. Keine Verbindung.
Ich hab in diesem Herbst den Ausdruck „keine Verbindung“ nochmal ganz neu gehört – auf Spanisch: Desconectado. Unser Boot tuckert langsam an der Küste lang, ganz entspannt, wir sehen die Felsformationen und dann plötzlich Zelte in den Höhlen, an den einsamen Stränden. Komisch, denk´ ich. Unser spanischer Begleiter erklärt es uns. Was diese Menschen suchen, heißt auf Spanisch: Desconectado.
Das hat sich mir eingeprägt. Diskonnektet eingedeutscht. Nicht verbunden. Irgendwie faszinierend. Einfach mal offline sein, abgekoppelt.
Ich arbeite als Seelsorgerin in einem großen Krankenhaus. Da erlebe ich
oft ein diskonnektet-Sein. Allerdings nicht freiwillig gewählt. Wenn jemand
nach einer Operation aufwacht oder nach einer
langen Zeit ohne Bewusstsein auf der Intensivstation wieder zu sich kommt, ist
da oft zuerst ein großes Gefühl von Abgekoppelt-Sein. Kein Zugriff auf die
eigenen Sachen, kein Blick ins Handy, kein Alltag, der drängt. Nur das
Wesentliche: Atmen. Spüren. Hoffen, dass man gehalten ist. Manche Patientinnen
und Patienten erzählen mir später: „Das war beängstigend, ja – und doch irgendwie
auch befreiend. Für eine Zeit lang zählte nur das, was wirklich wichtig war.“ Da
geht es nicht um Termine, nicht um Mails. Da geht es darum, die Hand einer
vertrauten Person zu spüren.
Und ganz ehrlich: Ich hab` ganz schön oft das Gefühl, immer „on“ sein zu
müssen. Die vielen kleinen Töne und Vibrationen meines Handys, die mir sagen:
„Da will noch jemand was von dir.“ Oft fühle ich mich verpflichtet, sofort zu
reagieren. Das ist anstrengend. Deshalb würde ich manchmal gerne dem Wunsch
nachgeben, mal auszusteigen. Mal Pause zu machen. Abgekoppelt zu sein.
Desconectado. Nicht erreichbar, nicht verfügbar.
Ich kenne Menschen, die sich bewusst einen „freien Tag“ in der Woche nehmen:
kein Laptop, kein Smartphone, kein Dauerstrom an Informationen. Und sie
beschreiben es als überraschend
wohltuend. Es entsteht Raum. Raum zum Atmen, Raum zum Innehalten, Raum, um
überhaupt wieder wahrzunehmen, was da ist.
Ich finde, das erinnert an eine uralte biblische Idee – den Sabbat.
Einen Tag in der Woche, an dem nichts produziert wird. Niemand arbeitet. Kein
Zeitdruck drängt. Ein Tag, an dem Gott sagt: Du bist nicht wertvoll, weil du
funktionierst, sondern weil du mein geliebtes Kind bist. Du darfst loslassen.
Ich halte dich.
Desconectado. Heute am Sonntag, unserem christlichen Ruhetag. Einen
Moment entkoppelt sein von allem um mich herum. Das macht einen neuen Raum auf,
mich zu verbinden: mit mir selbst, mit anderen Menschen, mit Gott. Ich wünsche Ihnen
einen gesegneten Sonntagmorgen!
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze