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Kirche in WDR 3 | 15.12.2025 | 07:50 Uhr
Unerhörtheit von Weihnachten
Guten Morgen, liebe Menschen! Fünf Jahre habe ich in Italien gelebt und mich befällt ein wenig Heimweh nach dort. Denn morgen beginnen sie wieder zu singen „Tu scendi dalle stelle, o Re del Cielo“. „Du steigst herab von den Sternen, o König des Himmels, und kommst in eine Grotte“. Im neuntägigen Endspurt vor Weihnachten vergessen die Italiener, dass noch nicht Weihnachten ist. Und sie vergessen das mit Inbrunst. Eins der großen Bilder des christlichen Glaubens wird ausgemalt. Das Kraft entfalten kann, auch wenn man nicht dran glaubt: Ein Himmelskönig über Sternen, der herabsteigt. In eine Grotte. Kein edler Ort. Staubig. Im Deutschen reden wir an Weihnachten von Menschwerdung. Ja: Gott wird Mensch. In Jesus. Einzigartig. Wir hören die Unerhörtheit gar nicht mehr vor lauter Lametta und Gewöhnung. Andere Sprachen sprechen sogar von Fleischwerdung. Inkarnation. Drastisch: Fleisch-Werdung. Eine Frau kam bei uns ins Kloster und fragte, wie wir vor dem Essen beten könnten „Und das Wort ist Fleisch geworden“? Sie müsse dabei an Schnitzel denken.
Genau das ist es. Gott gibt sich rein in diese Welt und das verändert den Blick auf alles. Gott wird Mensch. Fleisch. Materie. Ich denke an Udo Lindenberg: „Das mit uns geht so tief rein“. Ja, so tief geht Gott rein. Von so weit oben.
Die neuere Theologie nennt es „Deep Incarnation“, „Tiefe Inkarnation“. Der Apostel Paulus ist da ganz dabei, wenn er von Gott sagt „Er erniedrigte sich“, er goss sich aus. Der Ordensgründer Bernhard von Clairvaux nennt es „Deus cum limo“. Gott mit dem Staub. Gott mit dem Dreck. Gott schmeißt sich in den Dreck. Und nie wieder ist der Dreck ohne Gott. Franz von Assisi spielt die Krippenszene nach. Wirft sich rein in die irren Bilder, die alles verändern. Gott wird Materie. Und die Materie kann transparent werden. Weil in ihr Gott da ist. Von Anfang an, wegen der Schöpfung. Und erst recht wegen der Fleischwerdung. Nix mehr ohne Gott – auch wenn nicht alles Gott ist. Wir brauchen keinen pseudofrommen Glitzer auf die Welt zu streuen. Da ist schon was drin. Von Gott. Von Ewigkeit. Von Annahme. Ja, von Liebe.
Mensch, heute habe ich Ihnen echt was zugemutet, womöglich auf nüchternen Magen. Aber mit diesen Gedanken ein wenig umzugehen, kann unseren Tag heute verändern. Es kann öffnen für eine Wirklichkeit, die in die Verantwortung ruft für die Materie. Aber vor allem ruft es erstmal ins Staunen. Nix mehr ohne Gott. Gott. Ganz drinnen. Ohne pseudofrommen Glitzer. In dieser Welt ist schon was drin. Von Gott. Von Ewigkeit. Von Annahme. Von Liebe.
Ich wünsche Ihnen ein bisschen Lust an Deep Incarnation, dem großen Abenteuer – damit wir spüren, dass jeden Tag Weihnachten ist,
Ihre Schwester Katharina aus Münster
