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Kirche in WDR 2 | 03.05.2025 | 05:55 Uhr
Lieb sein!
Stadtbummel an einem Samstagvormittag in Köln. Mein Blick fällt auf einen pinken Mülleimer. „Lieb sein!“ steht darauf – mit Ausrufungszeichen – und darunter „kein Rassismus, keine Homophobie, kein Sexismus“. Ich beuge mich runter und mache ein Foto. Als ich wieder aufsehe, steht plötzlich Gott vor mir. Vielleicht Mitte dreißig, schlank, tiefblaue Augen und die langen, schwarzen Haare hochgesteckt. Sie lächelt. An der Leine hat Gott einen Pitbullterrier mit einem Maulkorb aus Metall. „Huch“, denke ich, und sie bemerkt meinen irritierten Blick. „Willst du ein Stück mitkommen?“, fragt Gott und lächelt dabei so, dass ich gar nicht anders kann.
Wir kommen an einem Waffengeschäft vorbei, im Schaufenster liegen Pistolen. Einen 9mm-Revolver bekommt man für 159 €. „Schon mal probiert?“, frage ich. „Bringt nix“, sagt Gott, „Gewalt, Gegengewalt, noch mehr Gewalt… und wenn du triffst, ist das gleich so endgültig. Dann lieber nur Jackie.“ Gott deutet nach unten. Jackie, der Pitbullterrier hüpft freudig auf und ab.
Wir gehen weiter. An einer Straßenecke sitzt ein junger Mann, Ende zwanzig, Jogginghose, Hoodie, alles etwas schmuddelig, vor sich einen Pappbecher. Links lehnt er an einen Mülleimer. Darauf steht: „Rein oder nicht rein, das ist hier die Frage“. Ich krame mein Portemonnaie heraus und werfe zwei Euro in den Becher. „Hab ich dir mal von der alten Frau erzählt,“ fragt Gott, „der Witwe, die zwei Groschen gespendet hat, alles, was sie an dem Tag hatte …?“ Oh Mann, sie ist wirklich Gott. Na gut, ich hol mein Portemonnaie ein zweites Mal raus und entleere es komplett in den Pappbecher, 48 Euro und ein paar Cent. Der junge Mann erschrickt. „Ey, was ist los mit dir? Danke, Mann, danke!“
Wir gehen weiter. „Noch Lust auf’n Kaffee?“, fragt Gott schließlich. Als wir uns gegenübersitzen, wieder dieser Blick. „Und, worüber willst du reden?“ „Du kennst mich doch“, sag ich. „Eben.“ Gott kann gut zuhören. Als wir uns draußen vor dem Café verabschieden, steht wieder einer dieser pinken Mülleimer vor uns. „Lieb sein!“ steht darauf und darunter „kein Rassismus, keine Homophobie, kein Sexismus“. „Könnte von dir sein“, sage ich. „Die sind von mir“, sagt Gott und zwinkert mir zu. „Ihr Menschen braucht halt ein paar Regeln, sonst wird das nichts mit der Freiheit.“ „Da hätt ich wohl noch Fragen, schon lange“, sage ich. Tja, was soll ich sagen… ich hab jetzt ihre Nummer.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
