Beiträge auf: wdr2
Kirche in WDR 2 | 11.11.2025 | 05:55 Uhr
Unter dem halben Mantel
Den Mantel?
Den wollte ich nie tragen.
Den Bischofsstab und den Heiligenschein auch nicht –
aber ihr wisst ja, wie das im Leben läuft:
nicht nach Plan.
Zumindest nicht nach meinem.
Ich bin Martin von Tours,
heute
wird erzählt, dass ich meinen Mantel mit einem Bettler geteilt habe.
Klingt dann immer so, als wäre das eine große Sache gewesen.
Aber:
Mir ist das Teilen nicht schwergefallen.
Das einzig Gute an dem Mantel war,
er war richtig warm,
mit Schafsfell gefüttert.
Aber
sonst war dieser Mantel eben ein römisches Soldatengewand.
Und Soldat wollte ich nicht sein.
Musste ich aber – zumindest äußerlich.
weil ich der Sohn meines Vaters war.
Ich habe immer gespürt,
Nur weil ich ein Schwert und einen Militärmantel trage,
bin ich doch noch lange kein Staatsdiener
oder Anhänger des Kaiserkultes.
Ich habe es immer gewusst:
Unter meinem Mantel steckt ein anderer Martin.
Einer, dem Status, Herkunft, Privilegien, Reichslinien
und all der römische Kult
nichts bedeuteten.
Unter meinem Militärmantel steckt ein Martin,
der einfach nur Menschen sieht.
Keine Gegner, keine Feinde,
keine Konkurrenten,
keine Sklaven anderer Menschen oder Ideen.
Einfach nur Menschen.
Und dann habe ich einen Menschen gesehen, der gefroren hat.
Und hatte einen warmen Mantel,
den ich nicht wirklich tragen wollte.
Einen Mantel, der etwas aus mir gemacht hat, was ich nicht bin,
in dem ich Dinge tue, die ich nicht will.
Also habe ich den Mantel mit dem Schwert geteilt
und dem frierenden Menschen vor mir die eine Hälfte gegeben.
Und die andere Hälfte habe ich behalten.
So einfach war das.
Von den Christen habe ich als Kind gelernt:
Wenn
ich teile, wenn ich helfe –
es wird für heute reichen.
Und darum geht es mir:
dass heute niemand friert,
Durst
oder Hunger hat.
Schon gar nicht der Mensch,
der vor mir steht.
Ich sehe in allen Menschen,
die sich nicht selbst mit dem Wichtigsten versorgen können,
nicht nur ihre Not, sondern auch Jesus.
Und der hat nicht nur seinen Mantel mit mir geteilt,
sondern sein ganzes Leben für mich aufs Spiel gesetzt.
Damit ich leben kann, wie ich bin und will.
Ohne Angst vor weltlichen Herrschern, Gott oder sogar dem Tod.
Deshalb öffne ich meine Hände für das,
was Gott gibt und was Menschen brauchen.
Ich weiß, wer ich wirklich bin.
Ich bin frei.
Und reich. Unter meinem halben Mantel.
Und du?
Redaktion: Landespfarrerin Julia-Rebecca Riedel
