Beiträge auf: wdr2
Kirche in WDR 2 | 25.09.2025 | 05:55 Uhr
Tai Ji und die olympischen Spiele
Seit vielen Jahren bin ich Lehrer für Tai Ji und meditative Körperarbeit, also für diese jahrhundertealte Tradition, der achtsamen Bewegungen, die aus der Traditionellen Chinesischen Kultur kommt. Und weil ich eben auch christlicher Seelsorger bin, habe ich zwei Kurskonzepte entwickelt, in denen ich diese Meditationsform mit christlicher Spiritualität und christlichen Impulsen verknüpfe. Eine wichtige Lektion beim Lernen von Tai Ji hat mir mein Lehrer während meiner Ausbildung mitgegeben. Da erzählte er nämlich folgende Anekdote:
Vor ein paar Jahren haben offenbar mal einige Leute versucht, Tai Ji zu
einer Olympischen Disziplin werden zu lassen. Und bei den Olympischen Spielen
ist es ja am Ende immer so, dass jemand auf dem Siegertreppchen steht und mit
einer Medaille gekürt wird. Also haben die Leute, die eben Tai Ji Olympisch
werden lassen wollten, überlegt: Hm, wie kann man Tai Ji Übende von außen objektiv bewerten und eben auch
vergleichen? Sie haben überlegt und überlegt und rumgerätselt und am Ende gemerkt:
Das geht gar nicht.Man kann Menschen, die Tai Ji üben, so nicht vergleichen oder bewerten. Wie wunderbar!
Diese Geschichte erzähle ich immer gerne, wenn ich mit neuen Leuten einen
Kurs starte. Denn ich wünsche mir von meinen Kursteilnehmerinnen und
-teilnehmern: Wenn ihr gleich anfangt, Tai Ji zu üben, dann vergleicht euch
bitte nicht miteinander! Schaut nicht zu den anderen, um dann zu merken: Oje,
die anderen können die Bewegungen viel fließender ausüben und die kriegen alles
sowieso viel besser hin als ich. Gönnt euch hier eine Stunde, in der ihr mal eben nicht vergleicht und
nicht bewertet. Denn das macht nur Stress. Und Stress will Tai Ji ja nun
wirklich nicht auslösen, im Gegenteil: Es soll den Stress mal abebben lassen.
Auch wenn Sie selbst jetzt gerade vielleicht nicht Tai Ji üben:
Gönnen auch Sie sich Räume und Gelegenheiten, in denen sie sich und
andere nicht vergleichen und nicht bewerten.
Denn genauso wenig wie Tai Ji keine Olympische Disziplin ist, ist es das
Leben eben auch nicht.
Am Ende werden Siegertreppchen keine Rolle spielen.
Ich glaube, Jesus hat Recht, wenn er seine Jünger anmault, weil die wissen wollten, wer von ihnen der Tollste ist und die Gold-Medaille für „den besten Jünger der Welt“ verdient. Ich glaube: Am Ende geht es gar nicht um besser oder schlechter, sondern um Wohlwollen und Wertschätzung.
Und weil es am Ende eben nicht um ein Gerangel um die Goldmedaille geht, gibt’s eben dann auch keine Verlierer.