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Das Geistliche Wort | 13.07.2025 | 08:40 Uhr
Für die Seele sorgen
Aus rechtlichen Gründen enthält das Audio nicht die im Manuskript genannte Musik der Sendung.
Autorin: Heute habe ich einen freien Tag. Wunderbar! Ich habe Lust durch die Innenstadt zu schlendern und mich treiben zu lassen. Ich gehe die Fußgängerzone entlang, schaue mich um, lasse mich in den ein oder anderen Laden locken, setze mich in ein Café. Ich genieße es, Zeit zu haben und ohne Verpflichtungen zu sein. Mitten im Zentrum stoße ich auf die Citykirche. Sie liegt an einem belebten Platz; hier herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Mein Blick fällt auf eine weiße Eckbank, die etwas von der Eingangstür entfernt vor der Kirche steht. Daneben ein kleiner Tisch mit Gläsern und Kaffeetassen. Es sieht einladend aus. „Seelsorgebank“ steht auf einem Schild. Das interessiert mich. Seelsorgebank? Was hat es damit auf sich? Wer soll hier Platz nehmen und was passiert hier?
Ich betrete die Kirche und suche jemanden, der mir Auskunft geben kann. Und ich habe Glück. Ich treffe auf Jan Vicari, den Citykirchenpfarrer. Er erklärt mir, woher die Seelsorgebank kommt und warum sie hier steht:
O-Ton 1 Vicari
Unsere Seelsorgebank war auf gewisse Weise schon immer hier. Sie ist eine umgebaute Kirchenbank, die 50 Jahre lang Menschen Platz geboten hat, drinnen in der Kirche und natürlich so, dass man damit nach vorne gucken konnte. Jetzt steht sie draußen, hell leuchtend; wir haben sie umlackiert und durchgeschnitten und dafür gesorgt, dass Menschen sich gegenübersitzen können, so über Eck – da kann man sich gut angucken, aber auch mal in die Weite. Und so steht sie draußen statt drinnen und bietet Platz zum Gespräch auf unserem Marktplatz.
Autorin: Platz zum Gespräch. Zeit und ein offenes Ohr. Das ist die Einladung, die von der Seelsorgebank ausgeht. Hier kann ich mich hinsetzen, einer Person gegenüber, die aufmerksam bei mir ist. Ich kann mir, wenn ich will, etwas von der Seele reden. Spontan, einfach so.
O-Ton 2 Vicari
Ich brauch dafür keinen Termin, ich muss nicht sagen, wer ich bin, woher ich komme, ob ich Kirchenmitglied bin. Niemand fragt sowas und ich muss mir nicht vorher überlegt haben: Brauch ich heute Seelsorge? Die ganze Situation, das ganze Gespräch ergibt sich daraus, in diesem Moment den Impuls zu haben: Da möchte ich gerne sitzen und mich mit diesem Menschen unterhalten. Und ob das dann am Ende der Seele gut getan haben wird, das sehen wir dann hoffentlich, aber erst mal ist es diese Lust am Gespräch. Die macht´s so besonders.
Musik 1: Start It Over
Text und Musik: Scott Arthur Hildebrand & Lila Sabrina Despoix; Album: SCOTT & LILA; Label: 2024 SCOTT & LILA; LC: unbekannt
Autorin: Wenn ich auf einer Bank sitze und rede, mich mitteile, mir jemand zuhört. Ist das schon Seelsorge? Was ist überhaupt Seelsorge? Das Wort klingt etwas verstaubt, ist ein Kirchen-Insider, mit dem manche nicht so viel anfangen können. Für die Seele sorgen – das klingt verständlicher; etwas für meine seelische Gesundheit tun, für mein inneres Wohlbefinden. Das kann ich auf vielerlei Weise: spazieren gehen, Sport machen, Musik hören oder Musik machen, mich mit Freunden treffen, lesen, im Garten oder im Keller werkeln, in Ruhe einen Tee trinken. Wir alle wissen, was uns und unserer Seele guttut. Was uns im Gleichgewicht hält oder wieder ins Gleichgewicht bringt. Manchmal ist es das Reden. „Das muss ich mir mal von der Seele reden“, sagen wir, wenn uns etwas belastet und umtreibt. Wie gut, wenn dann jemand da ist und zuhört, unvoreingenommen und mit Zeit, und mir das Gefühl gibt: Ich werde ernstgenommen, ich werde gehört und darf sagen, was mir auf dem Herzen liegt oder auf den Magen drückt oder den Schlaf raubt.
Das aufmerksame Zuhören ist ein wesentlicher Faktor in der Seelsorge. Nur zu gut kenne ich Gespräche, in denen mein Gegenüber gar nicht richtig hört, was ich sage, sondern sehr schnell wieder bei eigenen Themen ist oder mit den Blicken unruhig durch den Raum schweift und mir so zu verstehen gibt: Was du sagst, interessiert mich nicht wirklich.
Das seelsorgliche Zuhören ist dagegen aufmerksam und empathisch bei der Person, die spricht, fragt nach, spürt den Gefühlen nach, die sie bewusst oder unbewusst zum Ausdruck bringt und versucht zu verstehen.
Ein besonders geschultes Ohr für die feinen Zwischentöne brauchen die Seelsorgerinnen und Seelsorger bei der Telefonseelsorge. Denn sie sehen ihren Gesprächspartner nicht. Sie hören ihn nur. Am Telefon. Pfarrerin Jula Heckel-Korsten leitet die Telefonseelsorge Wuppertal.
O-Ton 3 (Jula 1)
Das Besondere an der Telefonseelsorge ist, dass da zwei Menschen in einen seelsorglichen Kontakt kommen, die einander nicht sehen. Der, der anruft / die, die anruft, weiß nicht, was für eine Seelsorgerin / was für ein Seelsorger sitzt da am anderen Ende. Und es geht innerhalb von ganz kurzer Zeit direkt ans „Eingemachte“. Das gibt es nach meiner Erfahrung in keinem anderen seelsorglichen Kontext so. Es gibt wenig Anwärmphase. Da ist ein Mensch, ich höre den Atem, ich höre die Stimme, ich bin bereit zu hören und zu verstehen. Und dieser Mensch, der schenkt mir einen ungeheuren Vertrauensvorschuss. Ich darf ganz viel sehen von dem, was da im Schatzkästchen Seele, im Herzen, im Gemüt vor sich geht...
Autorin: Was Menschen auf der Seele liegt, ist so vielfältig wie die Menschen selbst. Von Beziehungsproblemen angefangen über Geldnöte, Kontaktabbrüche in der Familie, Fragen nach Schuld und Versöhnung, nach dem Sinn des Lebens und dem Sinn des Sterbens. In der Großstadt ganz obenauf auch oft das Thema „Einsamkeit“: Wer gehört noch zu mir und wo ist mein Platz? Seelsorgende erleben ganz viel Vertrauen. Ein in der Regel völlig fremder Mensch öffnet sich, gibt etwas von seinen innersten Gedanken und Fragen preis, und möchte damit wahrgenommen und verstanden werden. Genau darin sieht Jula Heckel-Korsten die Aufgabe von Seelsorge:
O-Ton 4 (Jula 2):
Telefonseelsorge ist in erster Linie auf die Art für Menschen da, dass wir versuchen, Menschen zu verstehen. Wir hören nicht in erster Linie auf der Informations- und Sachebene zu. Wir hören, was Menschen bewegt. Wir hören, was das, was jemand erlebt hat und erzählt, wirklich bedeutet, wie es dem Menschen dabei geht, wie er oder sie sich fühlt. Genau das tun wir bei der Telefonseelsorge und dann fühlen Menschen sich, indem sie gehört werden, auch gesehen. Hört sich erst mal paradox an. Aber genau das passiert: Menschen fühlen sich ge-hört, er-hört und darin auch gesehen...
Musik 2: In My Head
Text und Musik: Scott Arthur Hildebrand & Lila Sabrina Despoix; Album: SCOTT & LILA; Label: 2024 SCOTT & LILA; LC: unbekannt
Autorin: Seelsorge geschieht an vielen unterschiedlichen Orten: in der Schule durch den Schulseelsorger, im Gefängnis durch die Gefängnisseelsorgerin, im Krankenhaus, im Altenheim, in der Kirchengemeinde, bei akuten Notfällen, z.B. am Unfallort. Wer lieber nicht reden will, kann bei der Telefonseelsorge auch über Mail oder Chat in Kontakt treten.
Jede Pfarrerin, jeder Pfarrer ist für ein seelsorgliches Gespräch erreichbar, egal ob katholisch oder evangelisch. Sie sind in Seelsorge ausgebildet; Seelsorge gehört zu ihren ureigensten Aufgaben so wie Gottesdienste halten, Taufe und Abendmahl feiern, Hochzeitspaare trauen und Verstorbene zu ihrer letzten Ruhe geleiten. Doch nicht nur Pfarrpersonen leisten Seelsorge, zunehmend sind es auch Ehrenamtliche, die entsprechend geschult sind. Annemarie Jochheim aus Essen ist seit 2023 ehrenamtliche Seelsorgerin im Bettina von Arnim-Haus in Essen-Stadtwald. Hier wohnen betagte und hochbetagte Menschen sowohl im betreuen Wohnen als auch im Pflegebereich.
O-Ton 5 (Annemarie 1):
Ich besuche das Haus jeden Dienstag. Teilweise habe ich feste Besuchskontakte, also dass ich Menschen regelmäßig besuche, teilweise aber auch auf Zuruf durch das Pflegepersonal – zum Beispiel, wenn sich Menschen in für sie schwierigen und belastenden Lebenssituationen befinden oder einen nahen Angehörigen verloren haben und das Pflegepersonal der Auffassung ist, dass auch ein Gespräch hier hilfreich sein könnte.
Autorin: Seit einigen Jahren gibt es in Essen die Ausbildung zur ehrenamtlichen Seelsorgerin, zum ehrenamtlichen Seelsorger. Sie heißt „Lebensspuren begleiten“. 12 Monate lang werden die Interessenten intensiv geschult. Sie setzen sich auseinander mit Regeln der Kommunikation, mit ethischen Fragen, mit der eigenen Biografie und – ganz wichtig – mit der eigenen Spiritualität.
O-Ton 6 (Annemarie 2/1)
Seit ich denken kann, ist Gott ein Teil meines Lebens. Und deshalb empfinde ich eine unendlich große Dankbarkeit, Gott immer neben mir gespürt zu haben und selbst in schweren Zeiten gewusst zu haben: Er ist da, und ich gehe nicht verloren.
Autorin: Annemarie Jochheim hat lange für ihre drei Kinder gesorgt – und schaut als Ärztin auf ein berufliches Leben des Kümmerns und des Sorgens zurück.
O-Ton 7 (Annemarie 2/2)
Ich hatte das Gefühl, als meine Kinder aus dem Haus waren und ich aus dem Beruf ausgeschieden bin, dass diese beiden Anteile nicht – oder zumindest noch nicht – ungenutzt bleiben sollten. Und als ich dann 2021 von dem Projekt „Lebensspuren begleiten“ las, war ich mir sicher: Das Projekt richtet sich auch an mich, denn das kann ich: da sein, halten und vielleicht auch Trost geben.
Autorin: Dasein, halten und vielleicht auch Trost geben. Seelsorge bedeutet, einen Menschen auf einer kleinen Strecke seiner Lebensspur zu begleiten mit der Haltung des Daseins, des Haltens und Aushaltens, des Tröstens. Das ist eine zutiefst christliche Haltung, die sich am Vorbild Jesu orientiert. Von ihm wird in der Bibel erzählt, dass er für die Menschen, denen er begegnet ist, da war, dass er Zeit hatte. Jesus hört ihnen hat, hält sie aus, heilt und segnet sie. Er trifft auf viele, um deren Leib und Seele er sich sorgt: Arme, Kranke, Menschen am Rand der Gesellschaft, die wenig oder gar nicht im Blick sind. Ihnen schenkt er sein Ohr, seine Zuwendung, seine Sympathie. Und darin neue Hoffnung.
Musik 3: In My Head
Text und Musik: Scott Arthur Hildebrand & Lila Sabrina Despoix; Album: SCOTT & LILA; Label: 2024 SCOTT & LILA; LC: unbekannt
Autorin: Seelsorge ist eine Wesensäußerung der Kirche. Darin unterscheidet sie sich von Beratung oder Therapie. Sie vertritt ein christliches Menschenbild, das von Wertschätzung und Annahme und der tiefen Überzeugung geprägt ist: Dieser Mensch, dem ich hier zuhöre, der mir sein Herz öffnet, ist genau wie ich ein Kind Gottes, von Gott geliebt, mit Talenten beschenkt und auf seinen Lebensweg geschickt. Ich habe kein Recht, ihn zu beurteilen oder gar zu verurteilen. Ich darf ihm begegnen in aller Offenheit, darf versuchen, ihn zu verstehen und ihm Mut machen für seinen Weg. Jula Heckel-Korsten sagt:
O-Ton 8 (Jula 3):
Telefonseelsorge ist eine Einrichtung der beiden großen Kirchen. Das heißt: Die Seelsorgerinnen und Seelsorger hier am Telefon sitzen im Auftrag von Kirche hier. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, dass wir versuchen, stellvertretend eine Hoffnung zu formulieren da, wo Menschen selbst keine Hoffnung mehr haben. Ich meine das nicht so, dass wir jemandem etwas überstülpen, sondern dass wir sehr deutlich sagen: Ich höre das: Sie haben die Hoffnung aufgegeben. Ich möchte die Hoffnung für Sie noch nicht aufgeben. Denn wir hier bei der Telefonseelsorge sind davon überzeugt, dass Gott niemanden aufgibt; dass Sie trotzdem begleitet sind, auch wenn Sie davon jetzt nichts spüren. Und deshalb schließe ich Sie in mein Gebet ein, zünde eine Kerze für Sie an und behalte für Sie die Hoffnung, da wo Sie das nicht mehr können.
Musik 4: How Many Miles
Text und Musik: Scott Arthur Hildebrand & Lila Sabrina Despoix; Album: SCOTT & LILA; Label: 2024 SCOTT & LILA; LC: unbekannt
Autorin: Seelsorgende haben Schweigepflicht. Es ist wichtig, dass diejenigen, die den Kontakt suchen, das wissen. Das heißt: was immer im Gespräch auf der Seelsorgebank oder am Telefon oder im Seniorenheim oder wo auch immer ausgesprochen wird, wird nicht weitergetragen. Es bleibt unter vier Augen bzw. unter vier Ohren. Darauf können Menschen, die Seelsorge suchen, sich unbedingt verlassen. Und: Es gibt keine Tabus. Alles kann ausgesprochen und benannt werden. Nichts ist falsch oder so schlimm, dass es keinen Raum haben darf. Im Gegenteil: Die Erfahrung zeigt, dass gerade durch das Aussprechen von Belastendem die Last leichter wird. Menschen gehen aus einem seelsorglichen Kontakt in der Regel irgendwie erleichtert wieder heraus. Jan Vicari aus der Citykirche beschreibt es so:
O-Ton 10 (Vicari 3):
Das Ende des Gesprächs ist meistens dadurch eingeläutet, dass die Kaffeetasse oder Teetasse leer ist und man auch gut sagen kann: Na, ich muss ja auch weiter. Schließlich hat man ja Pläne in der Innenstadt. Eigentlich glaube ich aber, ist das Gespräch dann zu Ende, wenn sich etwas geklärt hat. Durch das Aussprechen, durch das zugehört-Bekommen, durch das Gegenüber von jemandem, der nochmal in eigenen Worten darauf irgendwie etwas zurückgibt, was gehört worden ist, was vielleicht an Gefühlen im Raum steht – alles das sind Dinge, die passieren ja nicht alleine dadurch, dass ich´s mir selber im Spiegel sage, was mich gerade umtreibt. Das passiert nur durch Gespräch, und zwar genau durch solch seelsorgerlich trainiertes Gespräch, wo jemand sich selber zurückgenommen hat, um Raum zu schaffen für diese Klärung und für ein Zuhören, was hoffnungsvolles Zuhören ist und Mut und Lust macht, das Leben nach vorn zu leben mit Hoffnung und Mut. Und so gehen dann Menschen und stehen von unserer Seelsorgebank wieder auf.
Autorin: Das Leben nach vorne leben mit Hoffnung und Mut. Wenn dieser Anstoß für den oder die Seelsorge Suchende/n spürbar ist, dann war es ein guter, ein inspirierender Kontakt. Dann wurde wirklich für die Seele gesorgt.
Dass Sie – wenn Sie es brauchen – einen Menschen finden, der Ihnen Seel-Sorge schenkt, indem er Ihnen zuhört, aufmerksam bei Ihnen ist, Ihnen Mut macht und Sie vielleicht sogar die Menschenfreundlichkeit Gottes spüren lässt - das wünsche ich Ihnen von Herzen.
Es grüßt Sie aus Essen
Pfarrerin Hanna Mausehund
Musik 5: Get up
Text und Musik: Scott Arthur Hildebrand & Lila Sabrina Despoix; Album: SCOTT & LILA; Label: 2024 SCOTT & LILA; LC: unbekannt
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth, Wassenberg
