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Kirche in WDR 2 | 08.10.2025 | 05:55 Uhr
Ozeane, Galaxien und ich
Ich bin zu einer Art Spürhund geworden. Wenn ich als Seelsorgerin mit Menschen an den Themen arbeite, die sie umtreiben, hake ich ein, sobald es für mich nach Perfektionismus riecht. „Klingt danach, als wären sie am liebsten perfekt. Hat das schon mal geklappt?“ frage ich nach. Und noch nie hat jemand mit „ja“ geantwortet. Natürlich nicht. Und dennoch: Die Möhre namens Perfektionismus hängt vorm menschlichen Esel. Also bildlich gesprochen. Sehr viele Menschen hängen diesem Ziel nach- ich selbst auch immer mal wieder. Deshalb erkenne ich ihn auch so schnell. Und dass wir dem „perfekt sein“ so nachlaufen, ist ja auch kein Wunder, in Zeiten, in denen alles irgendwie bewertet wird: Daumen rauf, Likes, 8 von 10 Sternen. Uns werden ständig unzählige Möglichkeiten hingehalten, wie wir immer noch besser werden können, wenn wir uns nur genug anstrengen. Lauter Menschen mit vollkommenen Körpern, Verhaltensweisen, Gefühlswelten und Wohnungen. Das wär’s! Oder auch nicht. Denn „perfekt“ und „individuell“ geht aus meiner Sicht nicht zusammen. Was für mich perfekt wäre, ist es für andere lange nicht. Und: „perfekt“ und „lebendig“ kriege ich nicht zusammen. Weil lebendig sein, immer auch Entwicklung bedeutet und das in alle Richtungen. Also auch in Richtung Schwäche und Zerfall. Wenn ich beispielsweise meine Haut mit Mitte 20 so optimiert habe, dass sie scheinbar perfekt ist, dann stellen sich 30 Jahre weiter neue Herausforderungen. Entweder ich passe mein Bild von „perfekt“ den Gegebenheiten an oder ich creme mich in den Wahnsinn. Und was ist mit dem Prinzip „Aus Fehlern lernt man?“ Braucht es nicht immer wieder sogenannte Fehler, damit wir als Menschheit weiterkommen? „Perfekt“ das ist gegen die Natur von allem Lebendigen und deshalb nie zu erreichen – meine ich.
Wenn Gott Perfektion gewollt hätte, hätte er sie möglich gemacht. Ich glaube nicht, dass wir göttliche Konstruktionsfehler sind.
Letztens war ich auf einer spirituellen Internetplattform namens „Barfuß und Wild“. Und da hab ich folgende Frage gelesen: „Ist es nicht großartig, dass derselbe Gott, der Berge, Ozeane und Galaxien erschaffen hat, dachte, die Welt braucht auch jemanden wie Dich?
Ich find die gut. Zu wissen: Ich bin ein lebendiger, kleiner, gewollter Teil dieser riesig großen Welt. Und Sie natürlich auch – Sie, das hier hören und auch alle anderen: Wir sind gewollt: Bei allen Schrumpeligkeiten und Schrullen und bei all dem, was immer wieder auch wunderbar und großartig an jedem und jeder ist. Was für eine schöne Perspektive!
Mensch bleiben und dabei immer menschlicher werden. Was für ein Leben, in dem das genug ist. Jeder und jede längst genug ist.
