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Kirche in WDR 5 | 23.10.2025 | 06:55 Uhr
Socken stricken
Guten
Morgen!
Wie schön! Es
gibt wieder junge Menschen, die das Stricken neu entdecken. Mir geht
dabei das Herz auf, denn ich stricke leidenschaftlich gerne Socken! Ja, Socken
stricken … Das ist für mich nicht nur eine kreative Tätigkeit, sondern eine
kleine, feine „Insel der Ruhe“ im Alltag. Ich
habe es von meiner Oma gelernt. Sie pflegte zu sagen: „Mädchen, strick Socken -
sonst bleibst du hocken.“ Ein Spruch mit sicherem Ursprung in einer Zeit, in
der Handarbeit noch eine zentrale Rolle gespielt hat. Heute möchte ich ihr
widersprechen – oder besser: eine neue Deutung hineinlegen: „Leute strickt
Socken, dann bleibt ihr hocken.“ Denn beim Stricken bleibt man nicht einfach
sitzen, man bleibt präsent! Die Nadeln klacken, die Maschen tanzen, und schon entsteht
etwas Warmes, Nützliches aus Garn und Geduld. Was
macht das Stricken für mich so besonders? Es ist eine klare, sichtbare Form von
Ruhe. Die Hände arbeiten, der Kopf kann schweigen. Die Hände halten die Nadeln,
und der Blick richtet sich auf Muster, Fäden und Farben. Es ist fast meditativ:
eine Bewegung führt zur nächsten, und doch bleibt Raum für Gedanken.
Beim Stricken rücken Ablenkungen in den Hintergrund. Handy aus, die Uhr tickt weiter – und ich merke: Ich bin hier, jetzt, im Takt der Maschen. Die Finger finden eine Routine, das Gehirn kann abschalten oder nachdenken – ganz nach Bedarf. Es ist erstaunlich, wie viel Klarheit entstehen kann, wenn man den Kopf frei hat und die Hände arbeiten lässt. Übrigens: Hier hat das Stricken eine verblüffende Ähnlichkeit zum Rosenkranz-Gebet – eine alte christliche Spiritualitätsübung mit einer Kette in der Hand. Das habe ich ebenfalls bei meiner Oma gelernt. Sie ließ die „Ave Maria“-Perlen des Rosenkranzes in der Hand sich abwechseln mit dem „Vater unser“: auch das geht nach einem bestimmten „Strickmuster“, fast automatisch – wenn man, wie sie, darin geübt ist. Der Oktober gilt in der katholischen Kirche traditionell als der Rosenkranzmonat. Und wie beim Stricken will dieses Beten gelernt sein. Aber zurück zum Sockenstricken: Da spielt die Wärme noch eine Rolle – wörtlich und im übertragenen Sinn. Die Socken, die entstehen, halten Füße warm. Aber auch mein Herz spürt Wärme, weil die Tätigkeit, die ich gern mache, eine Art Nähe zu mir selbst und zu denjenigen bedeutet, für die ich stricke. Vielleicht kennen Sie das: Wenn man etwas mit Liebe schafft, scheint diese Liebe beim Tragen der fertigen Stücke weiterzufließen. Stricken ist meine Brücke zwischen Tun und Sein, zwischen Arbeit und Ruhe, zwischen Herz und Kopf. Im Laufe der Jahre ist es nun sogar auch für mich zu einer stillen Form des Gebets geworden, eine Gelegenheit, innezuhalten, zu danken, zu erbitten oder einfach zu atmen. Ich habe für mich entdeckt, dass Stricken und Beten Hand in Hand gehen: Die Hände schaffen, das Herz wird ruhig. Geduld wird spürbar. Geduld mit mir selbst, Geduld mit dem Garn. Es lehrt mich Demut und Vertrauen.
Bleiben Sie behütet, und vielleicht finden Sie heute auch eine kleine, geduldige Minute, in der Sie Ihre Hände arbeiten lassen und gleichzeitig still ins Innere lauschen.
Mit Socken an den Füßen grüßt Sie Annkathrin Tadday aus Detmold