Beiträge auf: wdr5
Kirche in WDR 5 | 01.08.2025 | 06:55 Uhr
Heimweh nach früher
Es klingelt. Vor der Tür: mein Patenonkel. Onkel Reinhard. Wie immer in seinem karierten Flanellhemd und in Jeans, in der rechten Hand hat er – auch wie immer - seinen alten Handwerkerkoffer dabei: Dunkelbraunes Leder, an den Ecken ziemlich abgewetzt, die Ösen für den Umhängegurt nicht mehr ganz fest. So hat Onkel Reinhard schon ausgesehen, als ich ein Kind war. Es hat sich nichts verändert.
"Deine Tasche hat ihre besten Jahre hinter sich", sage ich und
Reinhard zieht die Augenbrauen hoch. Er kontert: "Klar, die ist 50 Jahre
alt. Ein Abschiedsgeschenk meines Ausbilders nach bestandener Gesellenprüfung.
Kriegste heute nicht mehr." So einen Onkel Reinhard kriegste heute auch nicht mehr, denke ich und zeige
ihm dann die Liste, die ich vorbereitet habe: Ein Dachrinnenleck flicken, Wand
zuspachteln, lockere Steckdose erneuern… Reinhard legt los, seine Ledertasche
immer griffbreit.
Das ist ein Bild, das rührt mich, weil er mag diesen ollen Koffer wirklich.
Und ich glaube, er steht für ein ganz bestimmtes Gefühl: Für Heimweh nach
früher.
In der Handwerkertasche steckt eine verschwommene Sehnsucht nach Vergangenheit. Die harte geleistete Arbeit, die Anerkennung des Meisters, vielleicht der Stolz der eigenen Eltern? Ich glaube die Erinnerung daran gibt ihm heute noch Halt, Geborgenheit. Und ich glaube diese – ich nenne es mal – „Sehnsucht nach dem, was war“ ist mehr als oberflächliche Nostalgie oder so eine verklärte "früher war alles besser" - Haltung. Sie ist eher wie ein wärmender Schleier, den er gerne griffbereit hat.
Beim darüber nachdenken fällt mir sehr bald auf: Gott kann mir ein vergleichbares Gefühl geben. Auch er bietet so einen wärmenden Schleier der Geborgenheit an. Einen, der im Übrigen auch immer griffbereit ist. Gott weiß, was ich in meinem Leben bisher geleistet habe. Er hat es gesehen. Er weiß was ich kann, natürlich auch was ich nicht kann. Aber er bewertet das nicht. Er ist einfach immer da, mein ganzes Leben schon und er wird bleiben.
Ich möchte hier Gott nicht mit dem Lederkoffer meines Onkels vergleichen,
das ist nicht meine Absicht.
Ich möchte aber sagen: Wir brauchen diese Art von Beständigkeit. Mir gibt das
Sicherheit, hilft zu verstehen wo ich herkomme, wer ich bin und sagt: Ich bleibe hier, egal was ist. Und dann beobachte ich wie mein Onkel Reinhard seinen alten Lederkoffer in
meiner Küche abstellt und im Flanellhemd den Kühlschrank repariert. Gefühlt ist
das auch etwas, das schon immer da war. Natürlich weiß ich, dass Onkel Reinhard einmal nicht mehr sein wird. Er ist
Rentner. Der Lederkoffer wird eines Tages auseinanderfallen. Umso mehr ist mir wichtig, was Jesus seinen Jüngern gesagt hat: „Ich bleibe
bei Euch – alle Tage“ (Mt 18,20) Das will ich glauben. Diese Unverbrüchlichkeit tut mir einfach gut in
Zeiten, in denen sich so viel ändert.
Kommen Sie gut in diesen Tag!
Ihre Verena Tröster aus Köln