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Der gute Hirte
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Das Geistliche Wort | 14.12.2025 | 08:40 Uhr

Der gute Hirte

Aus rechtlichen Gründen enthält dasAudio nicht die im Manuskript genannte Musik.


Autor: Wann haben Sie das letzte Mal eine Schafherde gesehen?

Bei mir ist es noch gar nicht so lange her. Ein Spaziergang im Herbst, eine grüne Weide. Und jede Menge Schafe, die friedlich in der Spätsommersonne grasten.

Eineinhalb Millionen Schafe gibt es in Deutschland. Der Bestand ist rückgängig: Um die Jahrtausendwende waren es noch zweieinhalb Millionen.
Schafe sind sehr wertvoll für die Landschaftspflege und für den Naturschutz. Sie lassen Kulturlandschaften entstehen und erhalten sie, zum Beispiel Wacholderheiden. Sie sorgen für Biodiversität, für Artenvielfalt. Aus ökologischer Sicht ist der Rückgang des Schafbestandes deshalb besorgniserregend.
Und noch aus einem anderen Grund: Ein Jahrtausende alter Beruf könnte aussterben - der des Schäfers. Schon jetzt hat sich das Berufsbild stark verändert. Die meisten betreiben die Schäferei im Nebenerwerb und nur gut vier Prozent sind hauptberuflich Schäfer. Schäferinnen gibt es übrigens kaum.
Wen wundert es also, dass wir hier und da zwar noch Schafherden auf eingezäunten Weiden sehen, aber kaum noch Schäfer, die mit ihrer Herde zum Beispiel an den großen Flüssen entlang übers Land ziehen. Von ihnen habe ich so etwas wie ein verklärtes Idealbild: Mit dunkelgrünem Filzhut, Parka und Gummistiefeln, dem selbstgeschnitzten Hirtenstab und dem treuen, aufmerksamen Schäferhund an seiner Seite, wie sie beide im Sonnenuntergang sitzen und ihre Herde beobachten.
Dass die Schäferei aber nicht viel mit so einer Postkartenidylle zu tun hat, sondern harte Arbeit ist in oft rauem Umfeld mit großer Verantwortung, das gerät dabei aus dem Blick. Genau diese malerische Idylle hat wohl dazu geführt, dass einer der 150 Psalmen im Alten Testament so berühmt geworden ist. Von Generationen von Konfirmanden und Konfirmandinnen wurde er auswendig gelernt. Von zig Malern auf Leinwand verewigt.

Ein Stück Weltliteratur.


Sprecher:

Ein Psalm Davids. Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.?

Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.?

Er erquicket meine Seele.

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.?

Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück;

denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.?

Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.

Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.?

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,

und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.?


Autor: Und? Haben Sie es auch vor Augen? Dieses Hirtenidyll? Auf sanften, grünen Auen, durchzogen von plätschernden Bächen, die Sonne am Horizont und alles in Weichzeichner getaucht?


Musik 1: Some Other Time

Komponist/Interpret: Wolfgang Haffner; Album: Shapes; Label: Act (Edel); LC: 07644


Autor: In der Kunstgeschichte finden sich zahlreiche solcher Gemälde.

Dabei hatte der Hirtenberuf noch nie viel mit seichter Romantik zu tun.

Die Bibel erzählt davon, dass Hirten Hungerlöhner waren. Die meisten besaßen die Herde nicht, hatten aber dafür zu sorgen, dass sie geweidet wurde. Sie waren immer unterwegs. Bei Wind und Wetter. Unter harten Bedingungen. Nomaden. Nicht sesshaft. Ständig auf der Suche nach dem besten Weidegrund. Manchmal trieben Hirten ihre Herden auf Land, das Bauern gehörte. Das gefiel denen natürlich gar nicht, weil die Schafe das Gras wegfraßen. Die Hirten waren auf Wasser für ihre Tiere angewiesen, aber in der Trockenzeit reichten die wenigen Brunnen oft nicht für alle aus. Da waren Konflikte vorprogrammiert – auch untereinander.

Hirten gehörten trotz ihres anspruchsvollen Berufs zur untersten sozialen Schicht. Hatten kaum Ansehen. Kaum jemand wollte mit denen zu tun haben.

Der Herr ist mein Hirte.

Dieser Psalm adelt den Berufsstand des Hirten.


Musik 2 = Musik 1: Some Other Time


Autor: Der Herr ist mein Hirte. Dieses Bild für Gott, dass der Psalmbeter anbietet, holt die Hirten raus aus der Ecke der unbeliebten und ungeliebten Figuren.
Jesus nimmt dieses Bild auf. Führt diesen Gedanken weiter. In Gleichnissen, Beispielgeschichten, die er erzählt.


Sprecher:

Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. (Johannes 10, 14-15)


Autor: Heißt: Ich sorge für euch. Hüte und behüte euch. Lasse euch nicht aus den Augen. Habe jeden und jede im Blick. Und gebe nicht einen, nicht eine auf.


Sprecher:

Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins unter ihnen sich verirrte: lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte??13
Und wenn es geschieht, dass er’s findet, wahrlich, ich sage euch: Er freut sich über dieses eine mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben. (Matthäus 18, 12-13)


Autor: Mit diesem einen Schaf auf dem Rücken wird Jesus von vielen Künstlern dargestellt, als Skulptur oder auch auf Gemälden. Schon frühchristliche Wandmalereien zeigen dieses Motiv. Und auch Lucas Cranach hat Jesus so dargestellt.

Das Bild vom Hirten verbindet sogar die Geburt des Heilands mit seinem Tod am Kreuz.
In der Weihnachtsgeschichte sind es die Hirten, denen die Nachricht überbracht wird:


Sprecherin:

Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;?denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.?Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.?Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war. (Lukas 2,10-12, 16-17)


Autor: Die Hirten sind die ersten, die vom Jesuskind hören. Die ersten, die es sehen. Und die ersten, die anderen davon erzählen.

Und als Jesus mit seinen Anhängern über seinen bevorstehenden Tod redet, sagt er:


Sprecher:

Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. (Johannes 10,11)


Musik 3: A Child is born

Komponist: Thad Jones; Interpret: Nils Wülker & Tim Allhoff; Album: Rays of Winter Sun – EP; Label: Warner Music Group Germany Holding GmbH; LC: 14666


Autor: Der Herr ist mein Hirte.

Ein schönes Bild dafür, wie ernst Gott es mit uns meint. Wie wichtig wir ihm sind.

Ich bin schon öfter mit Menschen über diesen Psalm ins Gespräch gekommen. Viele mögen ihn, weil er so etwas, ja ich sage mal Kuscheliges hat. Womit wir wieder bei der Idylle wären.
Für viele Menschen sind das sanfte, wohltuende Worte:

…mir wird nichts mangeln“. Es wird mir an nichts fehlen.

Er erquicket meine Seele. Er frischt mich innerlich auf.

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Er steht mit seinem Namen dafür ein, dass ich die richtigen Wege finde.

Er salbet mein Haupt mit Öl und schenket mir voll ein. Er behandelt mich wie einen König, eine Königin. Ich kann aus dem Vollen schöpfen.

Nicht umsonst ist Psalm 23 ein Trostpsalm.


Aber manche meiner Gesprächspartner melden auch Zweifel an: Das hat wenig mit der Realität zu tun. Das stimmt so ja gar nicht. Wie kann denn dieser Psalmbeter so dreist behaupten: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln?

Ich habe das ganz anders erlebt, sagen sie. Mangel pur. Oft fehlt das, was man am nötigsten zum Leben braucht: An Wertschätzung und Liebe. An Gesundheit und Wohlbefinden.
Und auf der rechten Straße habe ich mich oft auch nicht gefühlt. Viel zu viele Steine, die mir im Weg lagen. Manchmal ziellos. Immer wieder gefährlich, dunkel und aussichtslos.

Nichts mit grünen Auen und frischen Wassern.

Wo war Gott? Warum hat er mich nicht davor bewahrt?


Musik 4: Rays of Winter Sun

Komponist: Nils Wülker; Interpret: Nils Wülker & Tim Allhoff; Album: Rays of Winter Sun – EP; Label: Warner Music Group Germany Holding GmbH; LC: 14666


Da ist nichts mit grünen Auen und frischen Wassern.

Ist Ihre Lebenserfahrung ähnlich? Haben Sie diese Frage auch schon mal gestellt?

Ich finde sie berechtigt. Und sehr nachvollziehbar.

Martin hat Krebs. Es kann sein, dass er nur noch eine überschaubare Zeit hat. Und die ist bis jetzt auch nicht besonders angenehm. Er muss regelmäßig ins Krankenhaus, verträgt die Chemo nicht. Verliert Stück für Stück an Lebenskraft. Die Freunde haben nur noch Mitleid. Manchmal hat er das Gefühl, dass er sie aufmuntern muss.
Mir wird nichts mangeln? Doch. Gesundheit. Leben. Hoffnung. Daran mangelt es bei Martin. Ihn hat diese Krankheit umgehaun. Und Gott ist für ihn ganz weit weg mit seiner Liebe und Güte.


Frau Jansen kommt nicht mehr klar mit dem, was sie zum Leben hat. Es reicht einfach nicht mehr, sie kann sich kaum noch so versorgen, wie sie es gerne möchte und wie sie es doch früher gewohnt war. Alles ist zu teuer geworden. Sie dreht jeden Cent dreimal um. Sie lässt sich beraten, ob sie aufstocken kann. Sie wird wohl auch zur Tafel gehen. Ihr Selbstvertrauen ist auf Null.
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser? Das sind eher ausgetrocknete Felder und mickerige Rinnsale, die für ihr Leben noch übrig bleiben. Ohne Aussicht auf üppige Wiesen und rauschende Bäche. Diese Idylle trügt. Und Gott? Hilft gerade gar nicht.


Herr Schmitz ist schon seit Jahren einsam. Manchmal sieht er keinen Sinn mehr im Leben. Seine Frau ist schon vor längerer Zeit gestorben. Seine Kinder wohnen weit entfernt, die kommen nur mal an Weihnachten vorbei. Und haben ja auch viel Arbeit. Mit der Nachbarschaft passt es nicht wirklich. Und so sitzt er alleine - fast den ganzen Tag - in seiner kleinen Wohnung. Seinen Alltag durchziehen langweilige Talkshows und simple Vorabendserien. Ab und zu geht er mal zum Einkaufen raus, aber das war’s dann auch mit Kontakt zur Außenwelt. Sein Gemüt ist trübe geworden, seine Lebensfreude ist versiegt.

Er erquicket meine Seele? Nein, die ist ausgetrocknet. Verdorrt. Leblos. Das reicht nicht mehr zum Aufraffen. Schon gar nicht mehr zum Durchhalten. Kraft, die von Gott kommt? Fehlanzeige.


„Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ Der Psalmbeter kennt sie, die finsteren Täler. Er hat eine sehr realistische, lebensnahe Sicht auf menschliche Lebenswege.

Und sein Lebensweg ist auch nicht so viel anders als der von vielen Menschen heute. Mit diesen Durststrecken. Und Wüstenwegen. Und dunklen Tälern. Aber irgendwas ist anders.


Musik 5: Beautiful

Komponistin: Linda Perry; Interpreten: AnnenMayKantereit; Album: Beautiful – Single; Label: AnnenMayKantereit Records; LC: 48887


Autor: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“ Wie gesagt: Der Psalmbeter kennt die finsteren Täler. Aber seine Frage ist nicht: Warum bewahrt Gott mich nicht davor?

Sondern er hat eine Antwort: Diese finsteren Täler sind unausweichlich. Es führt kein Weg an ihnen vorbei. Sie gehören zum Leben.
Aber wenn Du mittendrin bist in dieser Dunkelheit – dann musst du keine Angst haben. Weil Gott bei Dir ist. Und Dir alles gibt, was du brauchst, um dem standzuhalten, was deinem Leben feindlich gesinnt ist. Und hier, in Psalm 23, klingt das nicht hohl. Das ist die Erfahrung dieses Menschen, der so betet: Du Gott, bist bei mir.

Solche starken Hoffnungsworte, Ermutigungsworte für finstere Täler, für steinige Wege - sie durchziehen alle biblischen Schriften.



Musik 6: Eilat

Komposition/Interpret: Lars Danielsson; Album: Liberetto II (with Tigran Hamasyan, John Parricelli & Magnus Öström); ACT Music+Vision GmbH+Co.KG; LC: 07644


Sprecherin (overvoice):

„Seid stark und mutig! Fürchtet euch nicht und habt keine Angst, denn der Herr, euer Gott, geht mit euch.“
(
5. Mose 31,6)

Sprecher (overvoice):

„Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“
(
Jesaja 41,10)

Sprecherin (overvoice):

„Sei getrost und unverzagt; fürchte dich nicht und lass dich nicht erschrecken; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir.“
(
Josua 1,9)

Sprecher (overvoice):

„Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken.“
(
Psalm 46,2-3)

Sprecherin (overvoice):

„Er heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“
(
Psalm 147,3).


Autor: So ist Gott, der Hirte, zu mir. Fürsorgend und aufmerksam. Gut und barmherzig.
Auf idyllischen Bergwiesen genauso in meiner Nähe wie in düsteren Schluchten.

Bei diesem Gott mangelt es mir wirklich an nichts. In seiner Nähe bleibe ich immerdar, mein Leben lang.
Vielleicht denken Sie ja daran, wenn Sie das nächste Mal eine Schafherde und vielleicht sogar einen Schäfer sehen: Der Herr ist mein Hirte. Er begleitet mich auf allen Wegen.

Und wenn Sie Menschen kennen, die durch dunkle Täler gehen, denen es an Hoffnung mangelt, die Nahrung für ihre Seele brauchen, damit sie erquickt werden – dann werden Sie vielleicht selbst zum Hirten. Dass Sie da sind, zuhören, hinsehen, mit nachdenken, das kann der Hirtenstab werden, der tröstet, Mut macht und Licht in die Dunkelheit bringt.

Manchmal braucht es nur eine liebevolle Umarmung. Ein freundliches „Ich bin für Dich da“. Ein gemeinsames Gebet vielleicht. Und manchmal auch nur stilles Aushalten.

Es braucht nicht viel, um auf die Frage: Wo ist Gott? Die Antwort: „Ich bin da“ zu geben. Ich bin da für dich. Mit meinem Gottvertrauen, mit meiner Erfahrung von Gottes Nähe und Fürsorge, mit meinem Erleben von Trost und Hoffnung, die ich von Gott habe.

Der ist mein Hirte. Und bei mir. Und bei dir. Gerade in den dunklen Tälern deines Lebens.


Dass Sie das erfahren, wünscht Ihnen Markus Möhl, Pfarrer in Ahlen.


Musik 7: A Fine Line

Komponist: Nils Wülker & Peter-John Vettese; Interpret: Nils Wülker; Album: Up; Label: Warner Music Group Germany Holding GmbH; LC: 14666



Redaktion: Pfarrer Dr. Titus Reinmuth

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