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Kirche in WDR 4 | 18.12.2025 | 08:55 Uhr
Loch im Stein
Manche Sachen im Leben knallen ja so richtig rein. Die kommen mit Wumms. Geht mir manchmal im Urlaub so – beim Anblick einer Landschaft zum Beispiel, die mir den Atem raubt. Oder ich kann mich an ein Konzert meiner Lieblingsband erinnern. Da war ich sprachlos vor Begeisterung. Und was soll ich sagen: In Glaubensdingen ist das nicht anders. Da habe ich auch solche Wow-Momente. So eine Christmette an Heiligabend zum Beispiel – die ist schon etwas ganz Besonderes. Da geht mir das Herz auf. Wegen der Feier an sich. Aber auch, weil ich da gesagt bekomme, dass Gott mich so gerne hat, dass er für mich Mensch geworden ist. Für mich ist das unvorstellbar und schön!
Mein Freund würde jetzt sagen: „Claudius – erzähl mir was Neues. Du bist Kirchenmann. Du musst Weihnachten gut finden. Das ist Teil deiner Arbeitsplatzbeschreibung.“ Damit hat er einerseits zwar Recht. Andererseits arbeite ich hauptberuflich in der Verwaltung. Aber weder bei Vermerken und Erlassen noch bei elektronischen Laufmappen macht da irgendetwas in mir drin „wow“. Das Einzige, was da vielleicht „knallt“, sind die Aktendeckel. Spannende Frage deshalb: Wie kommt das? Warum berühren mich manche Sachen – und andere so gar nicht?
Die Antwort habe ich vor ein paar Tagen wieder einmal von unserem Speicher geholt. Genauer gesagt: Ich habe den Karton vom Dachboden geholt, in dem wir unsere Krippe verstaut haben. Diesen Karton hole ich immer so ein-zwei Wochen vor Weihnachten runter und dann beginnen wir mit dem Aufbau Von Stall und Ochs und Esel. Da werden dann die kleinen Steinchen als Stallboden ausgelegt, die mir mein Vater vor Jahren vom See Genezareth mitgebracht hat. Oder der viel zu große Schafsbock platziert, den uns unser Sohn mal zu Weihnachten geschenkt hat. Und dann ist da dieser faustgroße Stein, in dessen Mitte ein Loch ist. Kein gebohrtes Loch. Auch kein brachial hingeschlagenes. Sondern eines, dass über unzählige Jahre hinweg von Wassertropfen geformt wurde. Minute für Minute, Stunde für Stunde, Jahr für Jahr war dieser harte Stein dem tropfenden Wasser ausgesetzt – und musste sich trotz aller Härte letztlich beugen, öffnen, Platz machen.
Was das mit den Wow-Momenten in meinem Leben zu tun hat? Naja – ich glaube, dass ich bestimmte Erlebnisse nur deshalb so stark empfinden kann, weil ich innerlich darauf vorbereitet bin. Weil ich dafür „offen“ bin. Weil mein Herz, meine Seele dafür – sagen wir – „bearbeitet“ wurde. Denn berühren kann mich nur das, was meine Barrikaden aus Bedenken, Vernunft und Verstand überwinden kann. Was durch diese harten, von der Wirklichkeit geschaffenen Schalen durchkommt. Weniger abstrakt: Diesen Wumms spüre ich wohl nur, wenn da schon vorher etwas bei mir passiert ist. Und mit meinem Glauben, meinem Verhältnis zur Kirche, mit dem bevorstehenden Weihnachtsfest ist das wahrscheinlich sehr ähnlich. Das berührt mich alles wahrscheinlich deshalb so, weil mich der liebe Gott da Jahr für Jahr bearbeitet hat, Tag für Tag, Stunde für Stunde auf ganz unterschiedliche Weise, Tropfen für Tropfen. Mehr noch: Ich bin überzeugt, dass ich nur deshalb diese Sehnsucht nach Weihnachten habe, nach dieser Botschaft von Erlösung und Frieden, weil da wenigstens schon ein kleines Loch in meiner Seele ist. Durch das kommt der liebe Gott mit seiner Kernbotschaft von Weihnachten zu mir. Deshalb liegt dieser Stein mit dem Loch Jahr für Jahr bei uns in der Krippe. Um mich daran zu erinnern: Dass Gott mich nie aufgegeben hat. Mochte ich auch noch so hart sein. Mochte da noch so viel steinerne „Wirklichkeit“ in meinem Leben sein. Und wissen Sie was: Ich wünsche Ihnen, dass das bei Ihnen zumindest im übertragenen Sinne nicht anders ist. Dass da auch bei Ihnen eine Öffnung ist. Dass Sie das Schöne und Wunderbare spüren können, das uns mit Weihnachten gesagt sein soll.
