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Das Geistliche Wort | 21.09.2025 | 08:40 Uhr
Hoffnung
Aus rechtlichen Gründen enthält das Audio nicht die im Manuskript genannte Musik.
Autor: Die warme Sonne steht über dem Gardasee, das satte Grün des Rasens leuchtet. Um uns herum Olivenbäume, Palmen und Zitronen, der Oleander blüht prächtig. Darunter das Hochzeitspaar. Wir feiern ein Fest. Lächelnde, gut gelaunte Menschen, sommerlich festlich gekleidet sitzen vor mir. In ihrer Mitte Andreo und Martina auf zwei geschmückten Stühlen. Sie schauen sich an. Alles in ihnen sagt: „Ja. Jetzt. Heute.“ Jeder Teil dieser Trauung ist lange vorbereitet, die Location bewusst ausgesucht, seit einem Jahr sind die beiden darauf zugegangen und sitzen nun vor mir: Aufgeregt und dieses Momentes sehr bewusst. Und dann liest der Trauzeuge jenen Satz aus der Bibel, über den ich gleich sprechen werde:
Sprecher 01: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“
Autor: Ich predige. Über die Kraft der Liebe, wie sie sich entfaltet und dass sie Pflege und Aufmerksamkeit braucht. Und dass sie niemals allein dasteht. In dem sehr bekannten Text des Apostels Paulus sind es drei Mächte, die sich verbinden: Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe. In der Bibel geht es häufig um den Glauben, versteht sich. Und um die Liebe auch. Gott selbst ist die Liebe, so sagt es Johannes, einer der Autoren der Bibel. Nirgendwo ist Gott so präsent wie in der Liebe. Glaube, Hoffnung, Liebe. Wenn ich dieses Paar hier vor mir sitzen sehe, dann verstehen alle, wie das gemeint ist: In ihrer Liebe zueinander ist Gott bei ihnen.
Und zwischen dem Glauben und der Liebe steht die Hoffnung. Hoffnung darauf, dass diese Liebe Kraft genug hat, auch dunkle Tage zu überstehen, auch Schicksalsschläge vielleicht. Es werden auch andere Zeiten kommen nach diesem Fest am Gardasee, ganz gewiss. Doch heute regiert in diesem Ja zueinander nicht nur die Liebe, nicht allein der Glaube. Wir sind, wir bleiben miteinander verbunden. Alle merken dies: Hier ist die Hoffnung stark, dass, was mit einer zufälligen Begegnung begann, nun die Grundlage für den gemeinsamen weiteren Weg sein wird.
Musik 1: Beatles: Here comes the sun
Interpreten: The Beatles; Album: Abbey Road (Remastered); Label: Calderstone Productions Limited (a division of Universal Music Group) © 2015 Apple Corps Ltd; LC: 97777
Autor: Die Hoffnung. So stark sie bei diesem Brautpaar ist, hat sie nicht im übrigen Leben derzeit einen ziemlich schweren Stand? Die Feier ist zuende und auf dem Rückweg vom Gardasee überfliege ich die Nachrichten. Berichte aus Gaza lese ich, aus der Ukraine. Das Leid der Menschen dort, die unter völlig sinnloser Aggression leiden, Eltern, Kinder, die nahestehende geliebte Menschen verlieren, verstört mich. Länger verweile ich bei einem Bericht über das Sterben der Gletscher in den Alpen. Kann man, darf man Hoffnung haben angesichts dieser Nachrichten in dieser Weltlage? Wann jemals gab es so viele bedrohliche Szenarien gleichzeitig?
Ist diese Hochzeit dort am Gardasee, diese aufwändige Feier nicht eine Insel der Illusionen angesichts von Realitäten, die zu allem anderen Anlass geben als denn zur Hoffnung?
Und dann bin ich zurück in meinem Dienst. Ein völlig anderer Schauplatz: Ich bin als Militärpfarrer bei der Bundeswehr tätig. Ich begleite Soldatinnen und Soldaten an einem Flugplatz der Luftwaffe, in Nörvenich, zwischen Köln und Aachen. Dort starten sechs bis zehn Eurofighter zweimal täglich zu Übungsflügen. Ich stehe an der Startbahn und sehe den Starts zu. Es beeindruckt, wie nach den letzten Checks in den Hangars die Flieger mit mächtigem Schub durchstarten.
Faszinierende Technik. Piloten lenken diesen Flieger, agieren in Sekundenbruchteilen. Und vertrauen dem Fluggerät und ihrer eigenen Belastbarkeit auch. Aber bei aller Faszination: Der Eurofighter hat eine klare Aufgabe: Er hat eine Bordkanone und kann Marschflugkörper, Raketen und Bomben transportieren. Er ist für den Luftkampf ausgelegt und gewährleistet die Überwachung des Luftraums über Deutschland. Er ist ein Kriegsgerät. Und ist in wenigen Minuten an jedem Ort über Deutschland. Doppelte Schallgeschwindigkeit.
Und es wird eingesetzt, dieses Kampfflugzeug. Mehrmals jährlich sind die Soldaten der Luftwaffe auf Übungen, in Spanien, in den Niederlanden, in Polen und in Rumänien. Die Verteidigungsfähigkeit der NATO wächst – und dafür werden Soldatinnen und Soldaten gebraucht, die oft wochen- ja monatelang in Einsätzen oder auf Übungen sind. Viele Menschen setzen darauf, dass sich diese Verteidigungsfähigkeit auswirkt. Sie erwarten, sie hoffen, dass so unser Leben mit all den Freiheiten gesichert werden kann, die wir als Menschen brauchen.
Zu denen, die dafür eingesetzt sind, gehört auch Stabsfeldwebel Daniel. Er ist gerade von einem internationalen Einsatz in Polen zurückgekehrt. Er hat drei Kinder, zwei, vier und acht Jahre alt. Wir kennen uns, weil ich seinen jüngsten Sohn getauft habe. Ich besuche ihn. Er ist für die EDV und für Kommunikationssicherheit zuständig, ein Fachmann für Datentransfer, ohne den keine Übung stattfinden könnte. Kommunikation ist alles.
Daniel erzählt vom Einsatz in Polen; acht Wochen mit sehr wenig Schlaf. Daniel und seine Kameraden sind dann oft die letzten, die die Dienststelle verlassen. Und klar: Morgens immer die ersten. Ich staune über Daniel. Er ist immer gut gelaunt, positiv gestimmt und nimmt die Aufgaben, wie sie kommen. Kompetent und zupackend. Auch nach nicht mehr als vier Stunden Schlaf begrüßt er mich auf Übungen morgens mit einem Lächeln: „Uwe, schön, dich zu sehen, wie geht’s?“ Woher nimmt er diese positive Kraft? Als ich ihn danach frage, zuckt er mit den Schultern: „Ich finde, mit gutem Mindset läuft es doch am besten, oder?“ Seine Kraft steckt an, weckt Zuversicht. In seiner Nähe ist alles gut, wird jede Herausforderung gelöst. „Wie geht es zuhause?“ frage ich ihn. „Die Kinder haben den Einsatz, die Zeit ohne Papa gut überstanden“, sagt er. „Aber jetzt freuen wir uns auf die Rüstzeit mit Dir!“ Daniel hat nicht nur Hoffnung, er lebt sie. Ansteckend. Sie ist einfach da. In ihm und mit ihm.
Musik 2: Ternura
Interpret: Omar Sosa; Album: Mulatos; Label: Skip Records; LC: 10482
Autor: Nicht alle Soldaten am Standort sind so drauf wie Stabsfeldwebel Daniel. Da ist Andreas, der seinen Dienst kaum noch ausüben kann, seit er in Afghanistan beschossen wurde. Neben ihm starben Kameraden. Erst konnte er den Einsatz zu Ende führen. Aber dann hat er Schlafstörungen, Panikattacken. Kann sich nicht konzentrieren, lacht fast nie. Das Erlebte steht ihm immer wieder vor Augen, so als passiere es jetzt. Da sind die Bilder, die Schreie, die Gefahr, die Angst und in seinem Kopf das Echo des auf ihn gerichteten Maschinengewehrs. Er schläft nicht mehr als zwei Stunden am Stück, schreckt dann hoch, kann sich tagsüber nicht konzentrieren, seine Freundin hat ihn verlassen. Hoffnung? „Ich möchte mein altes Leben zurück“, sagt er. „Den Andreas von früher. Aber ich weiß nicht wie.“
So viele Facetten hat die Hoffnung. Stark kann sie sein, offen und leuchtend wie beim Brautpaar, ansteckend wie beim Stabsfeldwebel Daniel und so aussichtslos verloren wie bei Andreas, den die Schrecken der Vergangenheit nicht loslassen. Was nährt die Hoffnung? Was baut sie auf? Was kräftigt sie? Wie erlangt man sie, wenn sie verloren ging?
Mir selbst machen Menschen Hoffnung, die mich aufbauen und stärken. Wenn ich ratlos bin, bin ich oft dankbar, dass es Menschen gibt, die mir zuhören und mit eigenen Worten erfassen, was mich beschäftigt. Wenn Sorgen mich nicht loslassen, dann braucht es Raum für ein Gespräch. Allein dies, das Erzählen können und dass jemand zuhört, macht es leichter und besser. Als meine Mutter im Sterben lag, war es ein befreundeter Pfarrer, der ihr den Segen zusprach und uns als Familie auch. Da war Trost – für uns als Familie und die Hoffnung, dass etwas von meiner Mutter in unserer Familie und in mir weiterlebt. Und diese Kraft spüre ich täglich. Es ist eine Hoffnung darin, die ich fest in meinem Herzen bewahre.
Musik 3: The Beatles – Blackbird Take 4 – The Beatles Anthology, Provided to YouTube by Universal Music Group Blackbird (Take 4 - Remastered) · The Beatles Anthology 3 ? 1996 Calderstone Productions Limited
Autor: Wie schwankend das Gottvertrauen sein kann, zeigt für mich eindrücklich eine biblische Geschichte. Sie handelt von Petrus, der sich traut, über das Wasser zu gehen. Ich finde mich sehr darin wieder. Oft denke ich vor Anforderungen: „Das schaffe ich, klar schaffe ich das! Auch Wasser trägt, na logisch!“ Aber dann verlässt mich der Mut. Und im Sinken denke ich: „Wie blöd warst Du! Hast nicht zuende überlegt, worauf du dich einlässt!“
In der biblischen Geschichte sind die Jünger auf dem See mit einem Boot unterwegs, als Sturm aufkommt. Jesus aber war an Land zurückgeblieben.
Sprecher 02: Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht! Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich.
Autor: Kennen Sie das auch? Jedes Kind weiß, dass man über Wasser nicht laufen kann. Man muss schwimmen lernen, ist doch klar. Aber in manchen Momenten traut man sich alles zu. „Das geht“, denke ich dann: „Das passt schon. Das wird gut!“ Und gehe los. Doch dann erkenne ich irgendwann: Oh weh, das ist schwieriger als gedacht. Damit hatte ich nicht gerechnet. Und mir sinkt der Mut und ich selbst auch. Wie konnte ich so naiv sein?
Die Hoffnung in mir ist ständig im Widerstreit. Sie bleibt tatsächlich niemals ganz allein und stark stehen und aufrecht unanfechtbar. Ständig wird sie angefochten und bedroht: Vom Selbstzweifel, von der Angst, von durchwachten Nächten, von den Sorgen. Nichts, so sagen die nächtlichen Sorgen, gibt Anlass zur Hoffnung. Keine Spur Licht. Es ist aussichtslos.
Und ist es doch nicht. Jeden Morgen geht die Sonne wieder auf. Kaum irgendwo finde ich ihre ermutigende Kraft so stark wie in einem Text Dietrich Bonhoeffers, in dem er die Hoffnung Optimismus nennt.
Bonhoeffer schrieb diese Zeilen an der Jahreswende 1942 und blickte darin zurück auf zehn Jahre Nationalsozialismus. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und hatte die Welt ins Chaos gestürzt: Millionen Juden und andere Gruppen wurden brutal verfolgt, ermordet oder inhaftiert, benachbarte Nationen mit einem verheerenden Krieg überzogen, Gewerkschaften, weltanschauliche Gegner, Kirchen auf Linie gebracht oder beseitigt. Kein Anlass für Hoffnung, sollte man denken. Null. Da, wo alles aussichtslos scheint und ihm selbst Verhaftung und Gefängnis drohen, schreibt Bonhoeffer, dass es zur Hoffnung, zum Optimismus keine Alternative gibt.
Sprecher 03: Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. Es gibt gewiss auch einen dummen, feigen Optimismus, der verpönt werden muss. Aber den Optimismus als Willen zur Zukunft soll niemand verächtlich machen, auch wenn er hundertmal irrt; er ist die Gesundheit des Lebens, die der Kranke nicht anstecken soll.
Autor: Ich schöpfe aus Bonhoeffers Zeilen Hoffnung, Unbeirrbarkeit. Sie machen mir Mut und geben mir Kraft. Wenn nichts äußeren Anlass gibt zum Optimismus, dann wird er, wird die Hoffnung am meisten gebraucht. Es gilt, den Kopf hoch und den Verstand wach zu halten. Hier ist Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner überlässt, weil sie die Gegenwart niemals für ewig hält. Solcher Optimismus, solche Hoffnung sind unüberwindlich. Bonhoeffer schließt seine Zeilen:
Sprecher 04: Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.
Musik 04: New York Guitar Company, Songs of the Beatles, MAY 03 2019, Album, 13 Songs
With a little help from my friends
Autor: Mich stärkt diese Überzeugung. Mir macht sie klar, dass verantwortlich leben bedeutet, in der Hoffnung zu bleiben und dass ich selbst eine Verantwortung für die Hoffnung habe, die in mir stark bleiben und stärker werden soll. Ich brauche Menschen, die sie mit mir teilen so wie das Brautpaar am Gardasee, Andreo und Martina, die ihre Liebe in der Hoffnung auf eine gute Zukunft lenken. Ich brauche Begegnungen wie mit den Soldatinnen und Soldaten an meinen Standorten, die sich einsetzen mit ihrem Leben, damit wir in Freiheit leben können – so wie wir es wollen. Ich brauche Worte und Beispiele und erlebte Geschichten, die mich aufrichten, wenn die Gegenwart zu düster ist und zu keinerlei Hoffnung Anlass gibt. Ich brauche Gespräche und Begegnungen, die mir zeigen, dass ich nicht allein unterwegs bin. Die Hoffnung leuchtet. Und ist stark. Sie liegt in uns und Gott selbst stärkt sie in uns.
Und wenn alles zu hart kommt, dann spreche ich das Glaubensbekenntnis Bonhoeffers, das von Gottes Kraft in uns handelt und davon, dass Er uns braucht für das, was er vorhat:
Ich glaube,
dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes
entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten
dienen lassen.
Ich glaube,
dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben
will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns
selbst, sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft
überwunden sein.
Ich glaube,
dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind,
und dass es Gott nicht schwerer ist mit ihnen fertig zu werden,
als mit unseren vermeintlichen Guttaten.
Ich glaube,
dass Gott kein zeitloses Schicksal ist, sondern dass er auf aufrichtige
Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, sagt ein Sprichwort und meine Überzeugung ist: Sie kann und sie wird niemals sterben. Sie stirbt überhaupt nicht, sie lebt zuletzt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Septembersonntag. Und dass Sie in Ihrer Hoffnung bleiben oder zu ihr zurückfinden. Aus Bonn grüßt sie Ihr Pfarrer Uwe Rieske
Musik 5 = Musik 2: Ternura
Interpret: Omar Sosa; Album: Mulatos; Label: Skip Records; LC: 10482
Quellen:
(1) Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. von Eberhard Bethge, München: Chr. Kaiser Verlag 1951, Seiten 22-30.
Redaktion: Pfarrer Dr. Titus Reinmuth