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Kirche in WDR 2 | 14.10.2025 | 05:55 Uhr
Gipfelglück
Autor: Ich stehe hier oben, der Ausblick ist atemberaubend. Ok, kein Wunder, bei 3455 Metern wird die Luft auch schon dünner. Aber der Ausblick ist grandios, rüber nach Südtirol, links und rechts der Alpenhauptkamm. Strahlend blauer Himmel. Der erste Schnee ist auch schon da. Ich bin mit meiner Tochter auf der Kreuzspitze. Einem der höchsten Wander-3000er in den Alpen.
Ein Lieblingsort für alle Alpinisten. Ich kann´s verstehen. Auch für Franz Senn. Den kennt kaum einer. Franz Senn ist Gemeindepfarrer in Vent gewesen. Das ist das Dörflein unten im Tal, ganz am Ende des Ötztals in Tirol. Franz Senn gilt als ein Pionier des Wandertourismus und ist sogar Mitbegründer des Deutschen Alpenvereins (gewesen).
1860 hat Pfarrer Senn die kleine Pfarrei in Vent übernommen. Der Ort ist damals nur sehr mühsam über einen schmalen Ziehweg erreichbar und im Winter oft gar nicht. Senn rührt das Elend und die Einsamkeit der Menschen. Er wird Seelsorger für die kleine Schar von Bergbauern.
Sein Dienst ist eine Mischung aus Seelsorge und Sozialarbeit. Franz Senn erkennt: Der Tourismus ist eine große Chance für die Menschen an diesem einsamen, abgeschiedenen Ort. Er legt deshalb selbst Wege und Steige an und öffnet sein Pfarrhaus als erste Herberge für Besucher.
Ein Pfarrer mit Visionen: Hier oben von der Kreuzspitze gibt er ein Panoramabild in Auftrag. Er will das imposante Gletschergebiet am Übergang nach Südtirol bekannter machen. Trotz Gletscherschmelze kann man immer noch viel sehen.
Ein Pfarrer, der die Welt verändert: Zu seinem 100. Geburtstag 1984 haben die Bergführer für Franz Senn eine Gedenktafel am Gipfelkreuz angebracht. Ja, Berggipfel sind Orte für die Seele. Ich spüre Demut und Dankbarkeit.
„Viele Wege führen zu Gott, die schönsten führen über die Berge“, hat uns die Hüttenwirtin unten im Tal mit auf den Weg gegeben. Wie wahr, denke ich hier oben am Gipfel.
Wir brauchen solche Orte, um auftanken, um Kraft zu schöpfen. Wir brauchen aber auch Menschen, Pioniere, die mutig vorangehen, neue Wege erschließen und diese anderen zeigen. Wir brauchen solche Pioniere nicht nur in den Bergen, sondern auch in Politik und Gesellschaft. Soziale Verantwortung und ein beherzter Glaube sind dabei ein guter Kompass.
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius