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Kirche in WDR 5 | 19.11.2025 | 06:55 Uhr
Raus aus der Spirale
Guten Morgen.
Haben Sie´s schon gesehen? Heute ist Buß- und Bettag. Vor genau 30 Jahren war das zum ersten Mal kein gesetzlicher Feiertag mehr. [Seitdem müssen wir alle an diesem Tag arbeiten.] Den freien Tag von damals vermissen vielleicht einige heute noch. Aber sonst? Vermisst jemand den Buß- und Bettag? Diesen stillen evangelischen Feiertag? Ich schon.
Ich finde, er würde uns heute guttun.
Ich weiß: Buß- und Bettag – das klingt nicht so lustig wie „Süßes oder Saures“.
Nicht so fröhlich wie „Allerheiligenkirmes“ und nicht nach Kinderlachen wie „Sankt Martin“.
Buß- und Bettag – das klingt eher nach „Sack und Asche“, nach Selbstkasteiung und Mottenkugeln. Und für sowas haben wir keine Zeit.
Der Trend geht weg von der Stille, hin zum Event.
Eins löst das andere ab, und wir feiern, als gäb`s kein Morgen mehr.
Kaum sind die Sommerferien vorbei, stehen im Supermarkt schon die Lebkuchen. Kaum ist das Oktoberfest vorbei, kommt Halloween. Und dann ist auch schon Weihnachten. Der erste Weihnachtsmarkt in NRW wurde in diesem Jahr schon am 02. November eröffnet - vier Wochen vor dem 1. Advent!
Praktisch das ganze Jahr über gibt es Feuerwerke, Stadtfeste, Kulinarische Meilen, Mittelaltermärkte oder Umzüge und ja, ich gebe zu: Auch ich stürze mich gerne ins Gewusel, stöbere an urigen Markständen, esse was Leckeres und treffe mich mit netten Leuten. Das sind schöne Erlebnisse, die wir auf Handy-Fotos festhalten und mit anderen teilen. Das alles ist nicht schlecht. Auf uns als Einzelne geguckt.
Aber wenn ich quasi „aus der Vogelperspektive“ auf diese endlose Timeline der Events gucke, dann denke ich: Wo ist da der Platz für Ruhe? Für Stille? Atemlos geht´s von einem Höhepunkt zum nächsten. Immer schneller, höher, weiter, pompöser. Keine Zeit mehr, um einfach mal in Ruhe auf dem Stuhl oder Sofa zu sitzen und tief ein- und auszuatmen. Immer sind wir in Aktion. Atemlos durch Tag und Nacht. Getrieben von der Nachrichtenflut und der Angst, was zu verpassen, gönnen wir uns keine Pause mehr.
Schluss damit.
Heute klinke ich mich mal aus.
Heute - am Buß- und Bettag - gehe ich in einen der vielen Gottesdienste, die es Gott sei Dank immer noch gibt an diesem Tag, obwohl er schon lange kein Feiertag mehr ist. Zusammen mit anderen finde ich im Gottesdienst endlich Zeit und Stille. Um über mich nachzudenken und darüber, was schiefläuft – in meinem Leben und in der Gesellschaft.
Was ich anders machen kann und will.
Mich segnen lassen für diese Neuanfänge.
Das muss nichts Großes sein.
Eine Freundin zum Beispiel schreibt heute Grußkarten an alle Menschen, die sie in den vergangenen Monaten am Telefon weggedrückt hat. Die sie auf später vertröstet hat mit den Worten „Ich melde mich bald, versprochen“ - und sich dann doch nicht gemeldet hat.
Sie hetzt wie ich durch die Tage und will doch gar nicht so sein.
Sie will aufmerksam sein dafür, wenn jemand ihr Ohr, ihr Herz, eine helfende Hand oder eine Umarmung baucht. Aufmerksam sein, zugewandt sein – das braucht Zeit. Darum schreibt sie heute allen eine Karte, die sie gernhat.
Und ich? Ich freue mich auf den Gottesdienst heute Abend. Und ich bin gespannt, welche Idee Gott mir in der Stille in mein Herz pflanzt. Was ich ab heute anders, vielleicht sogar besser machen will. Grußkarten hätte ich schon mal …
(Ende 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5: )
Es grüßt Sie, Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.
Redaktion: Manfred Rütten
