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Das Geistliche Wort | 23.11.2025 | 08:40 Uhr

Grenzenlos erinnern

Guten Morgen! Vor zehn Jahren machten mein Mann und ich eine Reise durch das nordöstliche Polen. Dabei kamen wir auch in die kleine Stadt Branjewo. Sie liegt nur wenige Kilometer entfernt zur russischen Enklave Kaliningrad, früher Königsberg. In der Mitte von Braniewo liegt die mächtige Backsteinkirche, die der heiligen Katharina geweiht ist. Dort ist auch die Kongregation der Katharinenschwestern angesiedelt. Die Ordensfrauen pflegen Alte und Kranke und kümmern sich um die Erziehung und Bildung von Mädchen.

Ich musste an unsere Reise denken, als vor einem halben Jahr in Branjewo ein Ereignis stattfand, das hatte es bis dahin noch nicht gegeben in der Geschichte dieser Stadt, die bis zum Zweiten Weltkrieg Braunsberg hieß: Am 31. Mai wurden auf dem Platz vor der Katharinenkirche 15 Märtyrerinnen gleichzeitig seliggesprochen. Zu ihnen gehört Schwester Maria Christophora Klomfass, die als Krankenschwester und Lehrerin in Allenstein wirkte. Die Seligsprechung von ihr und den anderen Schwestern fand an dem Ort statt, wo diese gelebt und gewirkt haben. Über das Leben und Sterben dieser 15 Frauen habe ich inzwischen einiges erfahren. Beeindruckend, diese Frauen.

Ich bin Eva-Maria Will und arbeite in Köln als Referentin für Trauerpastoral. Heute ist Totensonntag. An diesem Sonntag, der dem Gedenken an die Toten gewidmet ist, will ich an Schwester Maria Christophora Klomfass erinnern und an die anderen Schwestern.

Musik I:
Sanctus;
Dan Forrest: Requiem for the Living

Was war der Grund für diese besondere Seligsprechung in Branjewo? Dazu muss ich zunächst darüber reden, was sich vor 80 Jahren abgespielt hat, als Branjewo noch Braunsberg hieß. Am 22. Januar 1945 marschierte die Rote Armee ein in das Gebiet von Ermland und Masuren im heutigen Polen. Unter den zahllosen Menschen, die getötet wurden, waren auch insgesamt 105 Katharinenschwestern. Die Frauen wurden erschossen, erschlagen, misshandelt, vergewaltigt und verschleppt. In den letzten Jahren wurden für Schwester Maria Christophora und 14 von ihren Mitschwestern Zeugenaussagen und Zeugnisse der Einwohner von Braunsberg gesammelt. So konnten lebendige Bilder dieser Ordensschwestern nachgezeichnet werden, die stellvertretend für alle 105 Katharinenschwestern stehen, die ihr Leben verloren haben. Aufgrund dieser Zeugnisse wurden Schwester Maria Christophora Klomfass und ihre 14 Mitschwestern seliggesprochen. Aber was heißt das eigentlich? Das Wort „Seligsprechung“ erinnert mich an ein ähnliches Wort aus der Bibel, nämlich „Seligpreisung.“ Vielleicht geben die Seligpreisungen im Neuen Testament einen Anhaltspunkt, worum es bei einer Seligsprechung geht. Die Seligpreisungen in der Bergpredigt (Mt 5,3-11) richten sich an Tagelöhner, mittellose Witwen oder Waisenkinder. Diese „Armen“ haben oft den Eindruck, dass sie gar nicht zum Gottesvolk gehören, weil der Segen doch anscheinend nur auf den anderen ruht. Daher will Jesus die sozial Schwachen und Ausgegrenzten von diesem Gefühl befreien und zurück in die Mitte der Gesellschaft holen. Sie sollen am Reich Gottes teilhaben und: „glücklich“ werden. Dafür steht das Wort „selig.“ In manchen Übersetzungen des Urtextes heißt es daher auch „glücklich“ statt „selig“. Wie wäre es mit „glück-selig?“ Wenn Jesus die Armen „glück-seligpreist“ und ihnen Freude und Glück verspricht, dann will er in ihnen Hoffnung wecken und ihr Vertrauen stärken in die wandelnde Kraft des Geistes. Und das nicht als Vertröstung in ein Jenseits. Jesus verspricht ihnen, dass sie schon hier und jetzt befreit und getröstet werden. Ein Stück des verheißenen Heils wirkt schon jetzt spürbar, wenn ungerechte Strukturen, Armut und Hunger bekämpft und beseitigt werden. Und damit kommen letztlich alle ins Spiel, denn die Seligpreisungen stellen auch die Christen von heute vor die Frage, wie sie richtig und erfüllt leben können.

Dabei kommt es eben nicht nur an auf die richtige Einstellung oder fromme Gesinnung Es geht darum, selbst aktiv zu werden: Christen bewähren sich dadurch, dass sie sich nicht aus den Realitäten des Lebens zurückziehen, sondern sich dafür einsetzen, dass alle Menschen gerecht entlohnt werden und Zugang zu Bildung haben. Selig werden die genannt, die sich nicht nur mit dem eigenen Glück und Wohlergehen begnügen, sondern die – wie es ein modernes Lied formuliert: Wunden heilen sowie Trauer und Trost miteinander teilen (GL 459).

Musik II:
Lux aeterna;
Dan Forrest: Requiem for the Living

Die Seligpreisungen im Neuen Testament sind also ein Auftrag, das Leid Anderer wahrzunehmen. Von Anfang an hat es Menschen gegeben, die für die Armen eingetreten sind. Und dabei haben sie sich selbst in Todesgefahr gebracht. Ich denke an den Apostel Paulus, der auf seinen Missionsreisen extrem bedrängt und verfolgt wurde. Dennoch ist er überzeugt, dass uns alle nichts von der Liebe Christi trennen kann: nicht Verfolgung, Hunger oder Kälte sowie der drohende gewaltsame Tod (Röm 8,35). All das hat Paulus selbst erlitten, deshalb weiß er, wovon er spricht. Bis ins Sterben hinein ist er seinem Glauben treu geblieben.

Christen glauben: In diesen Menschen, die bis zum äußersten gegangen sind, ist der Geist Gottes wirksam geworden. Sonst hätten sie all das nicht aushalten können. Davon bin ich überzeugt. Selig, wer so lebt. Solche Lebensschicksale berühren
auch heute noch, gerade in Zeiten, in denen es oft um Äußerlichkeiten geht, um Selbstoptimierung oder wirtschaftlichen Nutzen. Ob ich selbst die Kraft und den Mut hätte, in größter Gefahr einzustehen für meine Werte und Überzeugungen? Ich weiß es nicht. Für mich bleibt daher das Zeugnis dieser Seligen Provokation und Stachel zugleich. Wie auch immer….

Die Kirche jedenfalls hat irgendwann damit begonnen, diese Märtyrer in einer Art amtlichem Prozess seligzusprechen. Amtlich wurde es, weil damals Kriterien nötig waren zu sagen, wer diesen Titel wirklich verdient hatte, oder sich den vielleicht nur erschleichen wollte. Denn diese, dann ganz offiziellen „Seligen“ sollen bis heute den Lebenden ein Beispiel und Orientierung geben für das eigene Verhalten im Alltag. Und das wirkt sich auch in der Liturgie aus, denn jetzt kann die Gemeinde einer bestimmten Ortskirche mit dem Seligen beten und diesen auch um Fürsprache bei Gott anrufen. All dem geht jedoch ein langwieriger Prozess voraus: Bevor die Kirche eine Person seligsprechen kann, werden die Lebensführung sowie das ihr zugeschriebene Wunder genau unter die Lupe genommen. Im Fall der Katharinenschwestern aus dem heutigen Branjewo hat dieser Prozess zwanzig Jahre gedauert. Es war noch Papst Franziskus, der den Termin der Seligsprechung der 15 Katharinenschwestern bewusst gelegt hatte in die Nähe des 8. Mai. An den Tag, an dem sich diesmal das Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 80. Mal jährte.

Musik III:Vanitas vanitatum;Dan Forrest: Requiem for the Living

Ich bin jedes Mal aufs Neue über das Ausmaß der Vernichtung entsetzt, die mit dem Zweiten Weltkrieg einhergegangen ist: 60 Millionen Tote, allein in der Sowjetunion rund 27 Millionen Menschen. Ab einem bestimmten Punkt in diesem Krieg waren blutige Rachetaten auf allen Seiten traurige Realität. Und das traf auch die Schwestern damals. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Ermland und Masuren entschieden sich damals die Schwestern, bei den Menschen in den Krankenhäusern, den Waisenkindern und Alten zu bleiben. Viele beschafften auf der Straße Lebensmittel und versuchten, die Schwachen zu bewahren vor Misshandlung und Vergewaltigung durch sowjetische Soldaten. Schwester Maria Christophora Klomfass und ihre 14 Mitschwestern versuchten, der Wut der Verfolger zu entgehen, die ihre Rosenkränze, Schleier und Ordensgewänder zerrissen. Irgendwann drängte die Kirchenleitung, die Schwestern sollten unverzüglich fliehen. Aber: Die Schwestern harrten aus – für diejenigen, zu denen sie sich bestellt sahen. Dass sie bei den Ärmsten geblieben sind, dafür haben die Schwestern mit ihrem Leben bezahlt.

Entweder wurden sie an Ort und Stelle getötet oder sie wurden wie ein großer Teil der Zivilbevölkerung in sowjetische Lager nach Sibirien verschleppt. Indem sie selbst auf Gewalt verzichteten, durchbrachen sie den Teufelskreis der Gewalt. Und für diese Haltung werden diese Schwestern in der katholischen Kirche jetzt besonders verehrt.

Musik IV:
Dialogues des Carmélites 3. Akt

Die 15 Schwestern wurden gemeinsam am 31. Mai in Braniewo seliggesprochen. Davon habe ich erst vor Kurzem per Zufall erfahren, als mich jemand in meiner Funktion als Referentin für Trauerpastoral im Erzbistum Köln anrief. Ich stellte mir daraufhin vor, dass viele Menschen zu der Feier gekommen waren. Denn immerhin hatten diese mutigen Schwestern den Einwohnern damals zur Seite gestanden und mit ihrem Leben dafür bezahlt. Aber wider Erwarten waren nur rund 6.000 Personen gekommen. Das hat mich überrascht, denn bei anderen Selig- oder Heiligsprechungen kommen oft an die 100.000 Menschen.

Ich habe mich gefragt, warum das Interesse so gering war. Vielleicht lag es daran, dass für die heute polnische Bevölkerung diese „deutsche Geschichte“ – denn die Schwestern waren ja Deutsche – zu weit im Dunkeln lag? Und: In deutschen Medien fand
die Seligsprechung der Schwestern kaum Resonanz. Vielleicht wollte man auf deutscher Seite den Eindruck vermeiden, durch die Erinnerung an das Leid der eigenen deutschen Bevölkerung das Leid aufrechnen zu wollen, das Deutsche damals den Polen und Russen zugefügt hatten, Von polnischer Seite aus jedenfalls wurde weder während der gesamten Zeremonie noch in der polnischen Presse erwähnt, dass es sich um deutsche Märtyrerinnen handelte. Es mag aber auch einfach allgemein Angst mit im Spiel gewesen sein, denn die Seligsprechung fand ja statt in unmittelbarer Nähe der Enklave Kaliningrad. Und hier steht das Waffenarsenal, mit dem Russland aktuell im Krieg gegen die Ukraine droht.

Die Seligsprechung der 15 deutschen Katharinenschwestern zeigt, wie schwer es auch heute noch nach 80 Jahren ist, gemeinsam an den Zweiten Weltkrieg zu erinnern, mit seinen Gräueln. Die tiefen Wunden sind offenbar noch nicht verheilt.

Musik V:
Dialogues des Carmélites 3. Akt;

Das Gedenken zwischen Völkern kann und darf nicht halbiert werden. Die 15 ermordeten deutschen Katharinenschwestern stehen stellvertretend für die Menschen unterschiedlicher Volksgruppen, die damals gefoltert, ermordet oder verschleppt wurden. Jeder Mensch, der unschuldig um sein Leben gebracht wird, verdient es betrauert zu werden. Die Seligsprechung am 31. Mai hat mir jedoch gezeigt, dass es noch an Wegen fehlt, gemeinsam über die Millionen von Kriegstoten zu trauern und den gegenseitigen Willen zur Versöhnung zu bekräftigen.

Daher möchte ich am heutigen Totensonntag an den Brief der polnischen Bischöfe vom November 1965 erinnern. Dieser Brief war damals historisch. Denn: mit versöhnlichen Worten an ihre deutschen Amtsbrüder formulierten die PolnischenBischöfe, 20 Jahre nach Weltkriegsende und mitten im „Kalten Krieg“: „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ Mit dem von ihnen eingeleiteten Briefwechsel hatten die Kirchen damals die Voraussetzungen und die Grundlage geschaffen für einen neuen Dialog der Politiker beider Länder und für die spätere Aussöhnung der Völker.

Inzwischen sind 80 Jahre vergangen. Angesichts der Kriegsverbrechen, die jetzt an unterschiedlichen Orten dieser Welt stattfinden, darf kein Schlussstrich unter die Verbrechen der Vergangenheit gezogen werden. Weil die Erfahrungen der Kriegsgeneration auch in das Bewusstsein der nachfolgenden Generationen übergehen, müssen wir erinnern und die Vergangenheit aufarbeiten. Weder die Opfer, noch die Täter der Geschichte dürfen vergessen werden. Daher mahnt mich die Seligsprechung in Anbetracht der Verbrechen im aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine, nicht wegzuschauen, sondern weiter nach Wegen zum Frieden und zur Versöhnung zu suchen.

Musik VI:
Sanctus;
Dan Forrest: Requiem for the Living

Mit diesen Gedanken möchte ich mich verabschieden. Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag! Ihre Eva-Maria Will aus Köln.

Links für weitere Informationen rund um das Thema

https://de.wikipedia.org/wiki/Seligsprechunghttps://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_Martyrologium_des_20._Jahrhunderts

https://www.ermlandfamilie.de/index.php/news/id-15-katharinenschwestern-vor-seligsprechung.html


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