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Extras | 07.11.2017 | (--) Uhr

Interview mit Kathrin Heinrichs

Das ganze Interview mit Kathrin Heinrichs

M. Vogt:

„Frau Heinrichs, Sie haben eine Kurzgeschichte geschrieben, eine Variation zum biblischen Gleichnis vom verlorenen Sohn. Was hat Sie dazu motiviert?“

K. Heinrichs:

„Ich finde schon, dass die Bibel ein lohnenswerter Text ist, den man sich anschauen sollte, und wenn eine Variation von Bibeltexten nützt, um sich mal wieder mit der Bibel zu beschäftigen, dann ist das auf jeden Fall ‘ne lohnenswerte Aufgabe. Und für mich ist es durchaus auch ‘ne Herausforderung: Also, eine, ja sehr bekannte Geschichte, sag‘ ich mal, ganz anders zu erzählen. Also, es hat mich schon auch gereizt, muss ich schon sagen.“

M. Vogt:

„Was genau hat Sie gereizt?“

K. Heinrichs:

„Also, Bibeltexte, würde ich sagen, sollten ja immer dazu veranlassen, zu fragen: Was kann mir das heute sagen? Oder: Wo kann ich das nutzen? [Wo kann mir dieser Text heute noch was sagen?] Und das jetzt mal ganz konkret auszuprobieren: Was ist jetzt für mich der Kern dieses Textes und so kann ich ihn - oder wie kann ich ihn anders noch mal erzählen? Das war tatsächlich ‘ne interessante Frage.“

M. Vogt:

„Und was hat Sie bewogen, gerade dieses Gleichnis auszuwählen, das Gleichnis von dem verlorenen Sohn?“

K. Heinrichs:

„Das Gleichnis vom verlorenen Sohn hat mich eigentlich schon als Kind einerseits fasziniert, andererseits geärgert. Also, ich war von Anfang an immer auf der Seite des Bruders, der da zu Hause geblieben war. So dieses Gefühl: Das ist nicht fair, das konnt‘ ich schon sehr gut nachvollziehen. Und das ist tatsächlich auch etwas, das mir bis heute nachgeht: Dass ich heute oft so mich dabei ertappe, zu denken: Jeder sollte das bekommen, das ihm zusteht! Das ist so ein Gedanke, den ich habe und den ich gleichzeitig dann ablehnen möchte. Ganz häufig stell‘ ich fest, da wird mir selbst so viel Gnade zuteil, das heißt: So viel Freude, so viel Wohlstand, Sicherheit, Glück, Familie, ohne dass ich etwas dafür getan habe … Das ist dann so übermächtig.

Und das ist dann so’n, ja so’n zwiespältiges Verhältnis: Einerseits so das Pochen auf Gerechtigkeit, das ja im Menschen vielleicht angelegt ist und das ja im Alltag häufig so seine Berechtigung hat und andererseits so das Gefühl: Mir ist eben auch etwas geschenkt, für das ich überhaupt gar nicht getan habe.“

M. Vogt:

„Das heißt, Sie können sich abwechselnd auch in beiden Rollen wiederfinden? Also, einmal bei dem älteren und einmal bei dem jüngeren Sohn …?“

K. Heinrichs:

„Ja, durchaus. Also, der jüngere, der sich etwas geleistet hat im wahrsten Sinne des Wortes und trotzdem, ja, mit offenen Armen empfangen worden ist - das ist ja durchaus so ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen, das einem da zuteil wird. So, ich kann wirklich Mist bauen und trotzdem hab‘ ich die Chance, wieder anzukommen, nach Hause zu kommen. Das ist ja auch so ein Ort, wo man aufgefangen wird im besten Sinne.

Ich hab‘ natürlich auch ganz viel Verständnis für den Vater und glaube, dass dieses Gleichnis eben deshalb von Jesus erzählt worden ist, weil nur über diese Vater- oder Mutter-Kind-Beziehung eigentlich so diese, ja göttliche Liebe richtig deutlich werden kann. Das ist etwas, das wir sonst einfach wahrscheinlich nicht verstehen können. Und ich glaube, so wie jeder Mensch, wenn er dann vielleicht Mutter oder Vater werden darf, seine eigenen Eltern besser versteht, so können wir eigentlich so diese große Fülle an Liebe, die Gott uns schenken will, dann richtig verstehen, wenn wir selbst Kinder haben, weil wir da genau erleben: Mensch, eigentlich fast egal, was die anstellen, also, sie können zurückkommen. Wir können Sie wieder aufnehmen, wir können sie empfangen.“

M. Vogt:

„Und diese Botschaft haben Sie aus dem biblischen Kontext in die heutige Zeit übertragen.“

K. Heinrichs:

„Diese Alltagssituation, die ich gewählt habe, ist, glaube ich, eine ganz bekannte. Ich glaube, fast in jeder Familie gibt’s dieses Phänomen. Also diejenigen, die ganz nah dran sind am Elternteil, die sich kümmern, die sich da aufreiben - sei es im eigenen Haus oder wenn sie zumindest nah dran wohnen, die werden scheinbar nicht gesehen. Und wenn dann der Sohn oder die Tochter aus der Ferne kommt, dann wird darüber erzählt und geschwärmt. Das ist eine Situation, die mir durchaus auch von zu Hause vertraut ist.

[…]“

M. Vogt:

„Und wie würden Sie die Personen charakterisieren, die in Ihrer Geschichte vorkommen? Den Sohn Carsten, die Tochter Connie?“

K. Heinrichs:

„Für den Sohn Carsten, der da unterwegs gewesen ist, der auch alles mögliche ausgefressen hat, so im weitesten Sinne, der zumindest im Leben nicht so richtig glatt durchgelaufen ist, da hab‘ ich versucht, Beispiele zu finden, ja, wo’s im Leben tatsächlich nicht so richtig rund läuft manchmal. Da ist die Ehe mehrfach gescheitert, er hat da ‘n Konkurs hingelegt, er hat sich vielleicht nicht richtig um sein eigenes Kind, um seinen Sohn gekümmert - also Dinge, über die man sich zurecht ärgern kann als Bruder oder Schwester.

Die Connie hab‘ ich tatsächlich als Frau angelegt, weil da manchmal dieses Gefühl - ich rackere mich ab da für Mutter oder Vater - noch stärker sein kann. Also, weil’s ja häufig so die Tochter ist, die dann wirklich da ist, wenn’s um Windelnwechseln geht, um Einkäufe, um die Dinge, die nicht jeden Tag immer gleichermaßen Spaß machen.“

M. Vogt:

„Und den Vater haben Sie gelassen, wie er ist? Oder würden Sie sagen, Sie haben da auch gegenüber der biblischen Geschichte was verschoben?“

K. Heinrichs:

„Ich glaub‘, der Vater ist eben so’n bisschen eingepasst in unser Leben. Er ist so’n bisschen nervig … Ich wollte eben auch so ‘ne Alltagssituation schaffen. Er fragt dann, ist die Karte vom Finanzamt? Also sprich: Ja, so ‘ne klassische Situation, so dieses Fragen und Erzählen - die können einem schon mal auf den Wecker gehen. Also, da lag mir jetzt so’n Schwerpunkt, der Schwerpunkt vor allem darauf, dass der Vater eben auch anstrengend sein kann. Das kommt ja in der Bibelgeschichte nicht so wirklich ‘raus. Da ist also der Vater nicht der Zu-Versorgende sondern er ist, ja, eigentlich gar nicht so richtig näher beschrieben. Und hier wollte ich jemanden haben, der eben auch wirklich die Anwesenheit und die Verantwortung des einen Sohnes erfordert hat. Das heißt: Der Sohn, der zu Hause geblieben ist, hat auch tatsächlich was geleistet.

In dem Fall ist es bei mir die Tochter. Die hat was getan und umso stärker ist vielleicht ihr Gefühl: Jetzt kommt der andere und alles dreht sich nur um ihn.“

M. Vogt:

„Ist das also der Schwerpunkt Ihrer Geschichte?“

K. Heinrichs:

„Ja, mir war schon wichtig, darzustellen: Auch wenn man vielleicht das Gefühl hat als der- oder diejenige, die nahe am Elternteil ist, nicht wahrgenommen zu werden, muss das nicht unbedingt so sein. Es zeigt sich natürlich anders. Es ist eben so eine ständige Dankbarkeit, eine Zuwendung …

Man muss sich auch fragen: Warum ist die Frau da? Warum ist sie noch in ihrem Elternhaus? Sucht sie nicht vielleicht auch etwas, was sie dort bekommt: Die Beziehung zu ihrem Vater, Gesellschaft, Zuwendung, irgendetwas wird es sein, das sie jetzt auch dort hält. Und möglicherweise bekommt sie doch auch mehr - und so ist es dann ja auch in meiner Geschichte dann interpretiert -, als sie selbst weiß.

Umgekehrt: In dem Moment, wo sie neidisch ist und unzufrieden, ist sie es ja, die mit ihrem schlechten Gefühl eigentlich da sitzt - genau wie eigentlich der Sohn in der Bibel. Also, mit dem Hass ist man dann eigentlich immer sehr alleine, mit dem Neid auf den anderen. Also, man ist dann seinem schlechten Gefühl ausgesetzt und es ist auch rein pragmatisch immer günstiger, sich davon freizumachen.“

M. Vogt:

„Ihre Geschichte endet mit der Frage des Vaters an die Tochter: Hast du das denn gar nicht gemerkt? Also, dass ich dir dankbar bin. Wie sehen Sie den Vater in dieser Situation?“

K. Heinrichs:

„Ich glaube, dass der Vater tatsächlich eher überrascht ist. Er ist vielleicht auch entsetzt darüber, dass er eben keine besseren Mittel gefunden hat, um seiner Tochter seine Gefühle zu zeigen. Also, er sieht jetzt diese Situation, er erkennt möglicherweise auch, dass er ungerecht erscheint und möchte das auflösen. Er möchte das klären, auf jeden Fall.“

M. Vogt:

„Hatten Sie beim Schreiben des Textes bestimmte Menschen vor Augen, für die Ihre Geschichte gedacht ist?“

K. Heinrichs:

„Ich glaub‘, ich hab‘ eine Situation gewählt, die tatsächlich jeden betreffen kann. Dadurch, dass jeder nun mal Eltern hat, hat er irgendeine Beziehung zu seinen Eltern und kann sich daher fragen: Wie ist meine Beziehung zu meinen Eltern? Wie seh‘ ich mich im Verhältnis zu meinen Geschwistern? Und sagt das etwas darüber aus, ja, wie Gott sich tatsächlich uns zuwendet?

Also, wenn ich Glück habe, dann ist das tatsächlich eine Geschichte, die viele Menschen anspricht, die dafür offen sind.“

M. Vogt:

„Das heißt, Sie beschreiben zwar eine Alltagssituation, aber trotzdem ist es mehr als eine reine Alltagsgeschichte.“

K. Heinrichs:

„Die Frage: Fühl‘ ich mich vom Leben gerecht oder ungerecht behandelt, das ist ja eine Frage, die uns sich immer wieder stellt. Also: Geht es mir gut und warum geht es mir schlecht? Haben andere dazu beigetragen und wo seh‘ ich mich selbst: Sehe ich mich als bevorzugt? Sehe ich mich als übergangen? Bin ich ein Verlierer? Bin ich eine Gewinnerin? Und von wem kommt was?

Also: Kann ich mir alles selbst erarbeiten? Bekomme ich das, was ich verdiene? Das sind Fragen, die, glaube ich, jeder sich stellt - nicht nur im theologischen Sinne - und die, wenn ich irgendeinen noch so geringen Zugang zu Gott habe, möglicherweise damit beantworten kann: Ja, es gibt einen, der es gut mit mir meint, zu dem ich zurückkommen kann. Der mich aufnimmt, auch wenn ich verloren gegangen bin. Den ich eigentlich mal wieder besuchen möchte. Das wär‘ natürlich ‘ne gute Folge.“

M. Vogt:

„Ihren Bezug zum Gleichnis haben Sie ja dargestellt - wie ist es insgesamt mit der Bibel? Welche Rolle spielt die für Sie?“

K. Heinrichs:

„Also, ich würde jetzt lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich häufig in der Bibel läse. Das ist nicht der Fall. Aber ich bin, glaube ich, so relativ fit, wenn es um so die bekannteren Bibelstellen geht, und hab‘ auch durchaus ‘ne Einstellung dazu, ‘n Bezug dazu und kann das dann für mich auch irgendwie umsetzen, wenn ich damit konfrontiert werde. Sei es durch einen Gottesdienst, sei es auch durch das Motiv, das ja auch in der Literatur immer wieder eingesetzt wird. Und ich glaube, es sind schon so die Grundmuster menschlichen und göttlichen Lebens, die da immer wieder hochkommen. Durchaus auch als Krimiautorin findet man da Dinge, die man selbst verwenden kann. Also, es sind ja durchaus alle Gefühle wie Rachegelüste, wie Neid, wie Eifersucht, wie Missgunst, alles Mögliche ist in der Bibel letztlich enthalten und durchaus auch als Autorin nutzbar.“

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