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Kirche in 1Live | 27.07.2015 | floatend Uhr
Nächstenliebe
Da ist dieser Kommilitone, der beim Essen viel zu laut schmatzt: Wenn der im Seminar neben mir sitzt, hab‘ ich schon keinen Bock mehr auf Gruppenarbeit. Oft sind das die kleinen Dinge, die mich an Leuten aufregen. Auch bei denen, die sich auf Konzerten bis in die erste Reihe vordrängeln – an denen vorbei, die sich seit Stunden den Platz sichern. Da krieg ich zu viel. Ist vielleicht Charaktersache, typisch fürs Sternzeichen oder so. Meine besten Freunde erkennen schon an meinem Gesichtsausdruck, wenn ich kurz vorm Explodieren bin.
Beim letzten Mal haute dann jemand diesen sehr schlauen Spruch raus: „Ey Bea, du bist doch Christin. Wo bleibt`n deine Nächstenliebe?“ Zuerst hab´ ich gesagt: „Das hat doch gar nichts miteinander zu tun!“ Aber später hab´ ich nochmal darüber nachgedacht. Womit hat Nächstenliebe denn sonst was zu tun?
Den Nächsten – vielleicht sogar Nächstbesten – lieben sollen, klingt irgendwie strange. Nur weil ich Christ bin, mag ich doch nicht automatisch jeden. Und lieben schon mal gar nicht. Ein Gefühl kann man ja nicht erzwingen.
Vielleicht kann man Nächstenliebe also eher als `ne Art Haltung verstehen – Das heißt, vielleicht mal so tun, als hätte man `ne rosa-rote Brille auf; eben nicht nur Rot sehen; nicht als erstes den Fehler suchen:
Ich hab` wirklich kein großes Talent für Gelassenheit. Aber manchmal versuche ich jetzt, die Menschen im Alltag mit anderen Augen zu sehen. Und mit so `nem Nächstenliebe-Filter sieht die Welt manchmal einfach besser aus.
Copyright Vorschaubild: Brille Lena Glocker CCBY-SA 2.0 flickr
