Einfach mal nicht helfen

Er ist immer unglücklich. Immer braucht er Hilfe. Er schafft es nicht einzukaufen, er schafft es nicht, aufzuräumen, er schafft es nicht, den Brief bei der Post abzuholen, er schafft es nicht bei der Arbeit, er weiß nicht, wie sie das Formular ausfüllen soll usw. Wenn er sich mal wieder ordentlich einen hinter die Binde gekippt hat, dann ruft er mich an. Das kann auch schon mal um 3 Uhr morgens sein. Das Gespräch dauert mindestens 2 Stunden.

All das, was man ihm vorschlägt, was er vielleicht anders machen kann, lehnt er ab. Langsam geht mir das so richtig auf die Nerven. Egal, was ich sage, er will es nicht annehmen und jammert: Er wird immer vergessen, er ist immer diejenige, den es am härtesten trifft, es ist immer er, der Pech hat, wo nix klappt, der leiden muss. Er will sich nicht verändern und schiebt alles auf die anderen, immer sind die anderen Schuld, niemals er.

Der Typ ist wie ein Staubsauger, der mir alle Kraft und Energie nimmt. Mit einer anderen Freundin habe ich beschlossen, ihm nicht mehr zu helfen, ihm nicht mehr alles abzunehmen, ihm nicht mehr Recht zu geben, wenn er die Schuld auf die anderen schiebt. Am Anfang war das ganz schön hart und ich hatte ein schlechtes Gewissen. Mittlerweile hat sich das Blatt gewendet und erstaunlicherweise schafft er auf einmal ganz viel. Letztens habe ich ihn in der Stadt getroffen und er sagte: „Es klingt zwar komisch, aber danke, dass Du mir nicht mehr hilfst. Nein, ehrlich, damit hilfst Du mir wirklich.“

Sprecher: Daniel Schneider