Anruf von Abraham

In Chicago stehen wie in allen Städten ziemlich viele Denkmäler in der Gegend rum. Meistens sind es Statuen von mehr oder weniger berühmten Leuten oder einfach Kunstwerke, bei denen man nicht immer sofort weiß, was sie darstellen sollen, wenn man dran vorbeiläuft.

Deswegen gibt es in Chicago jetzt ein Projekt, um die Kunst den Leuten näher zu bringen. Die Lösung: Die Statuen fangen an zu reden. Zu jeder Statue gibt’s eine kurze Internetadresse, wer die aufruft wird von der Statue angerufen. Und dann erzählt zum Beispiel Abraham Lincoln, wer er war und welche Verbindung er zu Chicago hatte. Danach läuft man bestimmt anders durch die Stadt, weil man so ein bisschen was von den Menschen, die dort mal gelebt haben, weiß.

Wenn ich so drüber nachdenke: In meinem Leben stehen eigentlich auch ne ganze Menge Menschen rum, deren Geschichte ich noch nicht gehört habe. So Leute, die einfach still und leise ihr Ding machen, aber sich selber nie in den Mittelpunkt stellen würden. Vielleicht der Busfahrer aus Linie 12, die ich morgens immer nehme. Oder die nette Frau, die in der Kantine mittags das Essen austeilt. Würde das vielleicht meinen Blick auf sie verändern, wenn ich ein bisschen was von ihrer Geschichte und von ihren Träumen wüsste?

Ich könnte sie ja einfach mal fragen.

Christian Schröder, Aachen

Copyright Vorschaubild: Busfahrer Rene Schwietzke CCBY 2.0 flickr