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Kirche in 1Live | 24.10.2016 | floatend Uhr
Motivation
Letzten Donnerstag hat er wieder bei mir geklingelt. Donnerstags fährt Gott nämlich immer in die Stadt zum Einkaufen. Und dann macht er einen Zwischenstopp. Wir trinken eine Tasse Kaffee und reden über ihn, mich und die Welt. „Guck mal“, sage ich, als er sich gerade hingesetzt hat, und zeige ihm stolz mein neues Wand-Tattoo. „Ich KANN! Weil ich WILL, was ich MUSS. Der Spruch ist von Immanuel Kant. Also dem Philosophen. Ganz schön klug, oder?“
"Na ja, Kant ist schon einer der Klügsten, die ich kenne."
Ich zögere. „Aber dieses Zitat findest du nicht so besonders schlau, oder?!“
„Es ist philosophisch“, antwortet er augenzwinkernd. „Halt nicht so alltagstauglich.“
„Und was ist deiner Meinung nach alltagstauglich?“, frage ich leicht angesäuert zurück. „Unsere Gespräche zum Beispiel. Da fällt mir ein: Hast du deine Oma diese Woche schon angerufen? Sie würde sich bestimmt freuen.“
„Nee! Zu viel Stress auf der Arbeit. Da steht mir nicht der Sinn danach, auch noch mit Oma zu telefonieren. Die quatscht immer so viel und lange. Das muss ich jetzt einfach nicht haben.“ Gott guckt zu mir, zum Zweizeiler auf der Wand, dann wieder zu mir. „Ich kann! Weil ich will, was ich muss!“ wiederholt er. „Ich habe mich getäuscht. Der Spruch ist doch alltagstauglich. Er entlarvt. … das mit dem Müssen ist so eine Sache. Manchmal frisst einen der Alltag förmlich auf. Da kann man nicht immer so, wie man will.“ Ich weiß nicht, ob ich lachen oder mich schämen soll, entscheide mich aber fürs erste. „Und der Spruch ist sogar richtig hilfreich. Ab sofort erinnert er mich immer an den Enkel-Oma-Anruf.“
Sprecher: Daniel Schneider
