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Kirche in 1Live | 25.07.2018 | floatend Uhr
zart und stark
Ich mag das, wenn ich sehe, dass eine kleine, grad aufkeimende Pflanze durch den Asphalt durchwächst. Ich weiß wohl auch, dass ich meine Faszination nicht mit den Bauarbeitern teile, die für heile Straßen zuständig sind …
… es geht mir dabei aber auch nicht darum, dass Straßen kaputtgehen, sondern ich find´s krass, dass so eine winzige, zarte Pflanze offensichtlich die Kraft hat, so ´ne dicke Asphaltdecke zu sprengen. Die wurde ja immerhin mit ner Planierwalze und ganz viel Druck und Hitze auf den Boden aufgebracht. Da war erst mal alles platt.
Und trotzdem schafft es eine kleine Pflanze, da durch zu wachsen.
Das hat was und – ich finde – das lohnt sich für einen Vergleich:
Es gibt Menschen, die krasse Schicksalsschläge erlebt haben. Die also quasi solche Planierwalzen-Erfahrungen gemacht haben, die nur eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Wenn ich sehe, dass bei diesen Menschen trotzdem das Leben und das Zarte tatsächlich überlebt und wieder durchbrechen kann, dann geht mir das sehr nah.
Antoine Leiris fällt mir dazu ein.
Er hat 2015 bei den Terror-Anschlägen in Paris seine Frau verloren.
Und er wendet sich in einem offenen Brief an die Attentäter. Da schreibt er:
„Am Freitagabend habt Ihr mir das Leben eines außergewöhnlichen Menschen geraubt, die Liebe meines Lebens, die Mutter meines Sohnes, aber –
meinen Hass oder meine Feindseligkeit, …das bekommt Ihr von mir nicht.“
Ich bewundere diesen Mann.
Und jedes Mal, wenn ich eine Pflanze sehe, die durch den Teer wächst,
muss ich an ihn denken.
Michael Thiedig, Dortmund
