Haben und Sein

Jeden Tag benutze ich unzählige Dinge. Es fängt gleich morgens an. Den Wecker am Handy ausschalten, Kaffeetasse, Zahnbürste, Klamotten, Haustürschlüssel, dann später Fahrrad, Computer, Wasserflasche. So geht das weiter bis abends. Jeden Tag.

Wenn mir was fehlt für meinen Alltag, dann besorge ich das. Kaufe, leihe aus oder baue es gleich selber. Ich will was haben, besitzen, benutzen – was auch heißt: die Kontrolle darüber haben. Ich will bestimmen, wofür etwas benutzt wird.

Mein Kollege Pierre-Willy stammt aus dem Kongo. Und er hat mir vor kurzem erzählt, dass es in seiner Muttersprache kein Wort für „Haben“ gibt. Auf Lingala kann man nicht sagen: „Ich habe eine Tasse Kaffee“. Eine Übersetzung würde eher heißen: „Ich bin mit einer Tasse Kaffee“. Vielleicht ist das nur für Sprachwissenschaftler interessant, aber ich finde, es ändert die Wahrnehmung. Ich schaue auf alle Dinge, die mich umgeben nicht als meinen Besitz, sondern als Dinge, mit denen ich eben bin, mit denen ich lebe. Meine Lebensmittel sozusagen. Noch mehr ändert sich, wenn ich auf andere Lebewesen schaue. Wenn jemand nicht sagt, ich habe eine Freundin, sondern ich bin mit einer Freundin. Nicht, ich habe einen Kollegen, sondern ich bin mit einem Kollegen. Sprache beschreibt unser Verhältnis zu dem, was uns umgibt. Am Ende des Tages werde ich mich öfter mal fragen: Mit wem oder was bin ich heute eigentlich gewesen.

Christian Schröder, Aachen