„Ich würd jetzt gern jemanden anrempeln“. Paul atmet tief durch und macht eine lange Pause. „Ich würd jetzt gern jemanden anrempeln. Und dass das okay ist“. Ich kann Paul echt gut verstehen. Obwohl ich wirklich nicht zur Gewalt neige und normalerweise auch sehr höflich bin. Paul erzählt gerade, wie sein Festivalsommer eigentlich ausgesehen hätte. Ein, zwei große, dann auch viele kleinere Konzerte in seiner Region, ein paar echte Geheimtipps, Bühnen auf Straßenfesten und umfunktionierten Wiesen mit oder ohne angeschlossenen Zeltplatz, egal ob mit 100 Leuten oder 100.000. Manchmal findest du unter den Vorbands am Nachmittag eine echte Perle. Manchmal fühlst du dich verbunden mit den ganzen anderen, die unterm Sternenhimmel alle Songs mitsingen können.

Die Musik wird jetzt trotzdem gestreamt und im Video kann ich auch sehen, wie die Band live so ist. Selbst die halbwarmen Ravioli vom Zeltplatz kann ich mir auch Zuhause reinpfeifen. Aber einfach so mal jemanden anzurempeln und dabei – wenn überhaupt – nur kurz zur Entschuldigung die Hand heben zu müssen – das geht gerade nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass man sowas vermissen kann. Aber diesen Sommer hilft nur Durchhalten, Livestreamen, kleine Bands trotzdem supporten und warten. Bis man irgendwann auch wieder auf Konzerten einfach so jemanden anrempeln kann. Und hoffen, dass das dann immer noch okay ist.

Christian Schröder, Aachen