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Kirche in 1Live | 12.10.2020 | floatend Uhr
Komplizierter Heiliger
Vor fünf Wochen ist mir der Vater weggestorben. Kann passieren mit 81, braucht mir keiner zu sagen. Ist trotzdem eine verdammte Misere. Brauche ich auch keinem zu sagen, tut aber gut.
Er hat ein paar Sachen aus seinem Leben aufgeschrieben, und da lese ich, wie er in den 40ern von seinem Alten verprügelt wurde, und dann weiter vom Grundschullehrer, als man dort den sechsjährigen Linkshänder mit Gewalt zum Rechtsschreiber machte. Und dann in den 50ern auf dem Gymnasium der Religionslehrer, ein katholischer Priester. Mit dem Rohrstock auf die Finger und auf den du weißt schon, vor der ganzen Klasse. Im Namen des Vaters und des Sohnes und der Heiligen Scheiße.
Mit so einer Kindheit wird man kein Heiliger. Oder vielleicht gerade? Kompliziert war er und führte gut 80 Jahre lang ein extrem kompliziertes Leben. Ein schwieriger Typ. Auf der Suche nach sich selbst. Und auf der Flucht vor sich selbst. Ein Linkshänder in einer Welt von Rechtshändern, so fühlte er sich. Mir wäre in seinem Leben an ein paar Stellen sicher die Hoffnung komplett abhandengekommen, aber er weigerte sich zu verzweifeln.
Wie er das hinbekommen hat, weiß ich nicht. Aber mir hilft ein Satz von Vaclav Havel:
"Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat - egal, wie es ausgeht"
Florian Sobetzko, Aachen
