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Kirche in 1Live | 16.08.2022 | floatend Uhr
Carlos
„Was ist das denn für ein gruseliges Geschrammel.“ Als ich Carlos das erste Mal begegne, bluten mir fast die Ohren. Er sitzt an einer Brücke, über die ich manchmal jogge und zupft an seiner Gitarre. Der kleine Verstärker macht den Klang nicht wirklich besser. Im Vorbeilaufen nehme ich nur ein Klirren und Dröhnen aus der Box wahr. Ich mach ne kleine Verschnaufpause und schaue mir diesen Typ an. Sein Alter ist schwer zu schätzen. Seine Klamotten sind dreckig. Der Becher für Spenden vor ihm ist zerbeult. Ich frag ihn wo seine Wurzeln sind. Kurz unterbricht er sein Spiel, schaut mich an und zupft weiter. Und erzählt: Die Wurzeln seiner Familie sind in Portugal, von wo er vor vielen Jahren aufgebrochen ist. Er hat versucht hier bei uns ein Zuhause zu finden, aber das ist nicht so einfach. Das Zimmer, das er bewohnt, ist klein und sein Einkommen als Straßenmusiker, mit dem er schon lange Zeit auskommen muss, ist gering. Im Fado, der typischen melancholischen Musik seiner Heimat, die er den lieben langen Tag spielt, hört man seine Sehnsucht. „Brauchst du was?“ habe ich ihn gefragt. „Respekt, wenn du vorbeikommst und zuhörst. Was ich sonst brauche, trage ich in meinem Herzen.“ Und er sitzt auf seinem Hocker mit der Gitarre in der Hand und dem zerbeulten Becher vor sich und strahlt ein zahnloses Lächeln.
Ich komme jetzt häufiger an Carlos Stammplatz vorbei. Mittlerweile liebe ich seine Musik. Sie ist leidenschaftlich, hausgemacht. Sie ist der Sound seines Lebens und ich frage mich, welchen Sound mein Leben eigentlich hat und was ich brauche, um zufrieden zu sein.
Martin Kürble, Düsseldorf
