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Kirche in 1Live | 17.02.2023 | floatend Uhr
Einer trage des anderen Last
Mein Opa hatte ein ganz bestimmtes Lebensmotto: „Einer trage des anderen Last“.
Was erstmal nach Fitnessstudio klingt, bedeutet hier: Was bei dir grad scheiße läuft, das ist mir bewusst, davon weiß ich und dabei will ich dir helfen. Dieser einfache Spruch ist irgendwie sehr kostbar und berührt mich immer wieder.
Weil da so viel drinsteckt: Erstmal bedeutet das, dass ich Beziehungen mit anderen Menschen so eng lebe, dass ich weiß, was sie beschäftigt, was sie anstrengt, und sie auch ordentlich Kraft kostet. Das bedeutet aber auch, wenn es mir selber beschissen geht, sage ich das genauso. Weil ich weiß, da sind so liebe Menschen um mich rum: Allein, dass die wissen, mein Arbeitskollege war heute wieder ätzend oder dass ich jetzt ne Therapie angefangen habe, weil’s einfach nicht mehr ging – das nimmt mir (ein bisschen) Last von den Schultern.
Für meinen Opa hieß das konkret zum Beispiel, dass er einem jungen Geschäftsmann aus Tschechien die finanziellen Mittel geschenkt hat, damit der sich sein eigenes Unternehmen aufbauen konnte. Geschenkt. Opa hat gesehen, woran dieser Mann zu schleppen hatte und dann war‘s irgendwie selbstverständlich, dass er ihm helfen wollte. Und als dann viele Jahre später Oma und Opas Auto nen Totalschaden hatte, hat ein gewisser tschechischer – mittlerweile – Millionär Geld für ein neues Auto überwiesen.
Weil einer trage des anderen Last.
Und jetzt hat Opa genug getragen. Und alle, denen er jahrelang unter die Arme gegriffen hat, kommen jetzt an das Bett in dem kleinen Zimmer, in dem er liegt und tragen ihn auf den letzten Metern ein Stückchen mit.
Simon Deregowski, Köln.
