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katholisch
Kirche in 1Live | 11.09.2023 | floatend Uhr
Tag der Wohnungslosen
Jana ist bei mir im
Stadtteil aufgewachsen. Grundschule, Gymnasium. Sie hat im Ballett getanzt.
Nach dem Abi hat Jana angefangen zu studieren. Pädagogik in Würzburg – aber seit
einem Jahr geht bei ihr gar nichts mehr. Irgendwann in den letzten zehn Jahren hatte
sich in Jana etwas hineingeschlichen. Eine tiefe Angst. Angst vor allem und
jedem. Im Rückblick wird ihr vieles klar – warum sie irgendwann mit dem Tanzen
aufgehört hat. Warum ihr Freundeskreis immer kleiner wurde. Es war diese Angst,
die immer mehr von ihr Besitz genommen hatte. Einmal hatte sie sich noch
dagegen gewehrt, als sie zuhause ausgezogen ist. Weit weg von allem, was sie so
klein gemacht hat. Aber tatsächlich ist ihre Angst mitgereist. Am Ende ging es
so weit, dass Jana ihr Zimmer im Studentenwohnheim nicht mehr betreten konnte.
Jana hat die letzten Monate auf der Straße verbracht, rund um das Rathaus, wo
es einigermaßen belebt ist und sie ihre Angst halbwegs im Griff hat. Hier muss
sie nur mit den Blicken der Passanten fertig werden, die auf sie herabgucken.
Jana ist ganz normal aufgewachsen- so wie ich. Aber irgendwann war für sie die
Normalität an ihre Grenzen gestoßen.
Vor ein paar Wochen, kurz vor ihrem 25. Geburtstag, ist aber irgendwas passiert. Jana hat plötzlich ihre wenigen Sachen zusammengepackt, ist nach Würzburg gefahren und hat ihr Zimmer betreten. Für sie war das wie eine Mondlandung. Wie sie das geschafft hat? Wie es für sie weitergeht? Keine Ahnung. Aber seit mir ihr Bruder Janas Geschichte erzählt hat, frage ich mich nochmal mehr, was wohl für ein Leben hinter den Wohnungslosen steckt, die bei mir in der Stadt auf der Straße sitzen.
Martin Kürble, Düsseldorf