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katholisch
Kirche in 1Live | 13.09.2023 | floatend Uhr
Amelie
„Du kannst den Kopf in den
Sand stecken und nichts tun – oder in die Wolken und träumen. Das ist deine
Entscheidung.“ Das sagt Amelie. Ich habe sie im Krankenhaus getroffen. Vor 8
Jahren hatte sie irgendwie eine Entzündung im Körper, die sie nicht los wurde.
„Nichts schlimmes“, dachte sie. Als sie nach einem halben Jahr aus der Klinik
wieder rauskam, fehlte ihr ein Fuß und ein halbes Bein. Die Entzündung hatte in
ihr gewütet und sie fast umgebracht. Aber: Amelie lebt. „Der Rollstuhl ist das
kleinere Übel“, meint sie, „der Sarg wäre schlimmer gewesen.“ Wow, denke ich.
Hätte ich diese Kraft gehabt? Natürlich war das nicht leicht, sagt sie. Dass
sie geschrien hat, geheult und geflucht. Dass sie natürlich auch jemanden
gesucht hat, den sie für ihren Zustand verantwortlich machen konnte. An dem sie
ihre Wut auslassen konnte. Da war aber keiner. Es war ihr eigener Körper. Und
ihr Leben, dass sie von nun an anders weiterleben musste – und wollte. Aus
alten Träumen aufwachen und neue Träume finden. Diese Aufgabe hatte sie sich in
der Reha und mit Hilfe ihrer Therapeutin und von Freunden gestellt. Und es hat
geklappt. Die Stelle, an der der Unterschenkel amputiert wurde, macht ihr immer
wieder Probleme. Deshalb war sie bei uns auf der Station. Aber sie lässt sich
auch davon nicht unterkriegen. Im Gegenteil, mit ihrem Lebensmut und
Lebenswillen steckt sie andere an. „Warte bis ich endlich die passende Prothese
habe. Dann mache ich eine Ausbildung zur Tanzlehrerin“, sagt sie, lächelt und
hält den Kopf ganz hoch bis in die Wolken und träumt. Nicht von einem anderen,
sondern von ihrem Leben.
Martin Kürble, Düsseldorf