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katholisch
Kirche in 1Live | 19.01.2024 | floatend Uhr
Über die Schwelle gehen
Moment! Wenn du grade auf dem Weg in ein anderes
Zimmer bist, überleg vorher nochmal gut, was du da willst. Mir geht das oft so,
dass ich von einem Raum in einen anderen gehe, und wenn ich angekommen bin,
denke ich: „Was wollte ich hier eigentlich?“ Zum Glück bin ich mit diesen
Gedächtnislücken nicht alleine. Psychologen haben in Versuchen herausgefunden,
dass das der sogenannte Türschwelleneffekt ist. Unser Gehirn speichert Dinge in
kleinen Episoden ab und die enden, wenn ich einen Raum verlasse, also an der
Türschwelle. Im nächsten Zimmer beginnt eine neue Episode. Und manchmal ist
auch das eigentlich gar nicht so schlecht: Neulich hatte einen Brief
geschrieben und brauchte einen Umschlag. Weil ich keinen mehr hatte, bin ich
rübergegangen zu meiner Kollegin Conni am anderen Ende vom Flur. „Na, was kann
ich für dich tun?“, fragt sie. Hm… Gute Frage. Keine Ahnung! „Setz dich“, sagt
sie. „Willst du einen Kaffee?“ Und dann quatschen wir. Eine halbe Stunde. Das
hatte ich mir eigentlich schon so lange vorgenommen, sie mal zu fragen, wie es
ihr eigentlich geht. Und dann erzählt sie mir von dem Unfall, der sie sie immer
noch belastet. Und von der Trennung von ihrem Freund und der Trauer und dem
Neuanfang. An dem Tag hatte der Türschwelleneffekt wirklich etwas Gutes: Statt
Briefumschlag – Bitte – Danke – Tschüss, hat er den Raum für eine neue,
unerwartete Episode geöffnet. Am Ende fragt sie: „Weißt du wieder, was du
eigentlich wolltest?“ „Nein, keine Ahnung. War aber scheinbar nicht so wichtig.
Wichtig war, dass wir mal wieder Zeit hatten zum Reden.“
Martin Kürble, Düsseldorf