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Hörmal | 17.11.2013 | 07:45 Uhr
Die Inklusionslüge
„Wissen Sie, was Inklusion bedeutet?“ Diese Frage wurde in einem Film Bewohnern einer Einrichtung der Behindertenhilfe gestellt. In ihren Antworten spiegelte sich Ratlosigkeit: „Weiß ich nicht, kenne ich nicht, nie gehört“. Eine entsprechende Umfrage auf den Marktplätzen dieser Republik würde vermutlich ähnlich ausfallen.
Worum also geht es? Laut der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen von 2006 geht es um die vollständige gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung, also beispielsweise im Bereich Wohnen, Kultur, Bildung, Arbeit. Das klingt gut und ist inzwischen auch als Bundesgesetz in Geltung. Das Problem aber ist die Umsetzung, denn die kostet Geld und die öffentlichen Kassen sind leer.
Dazu ein Beispiel: Bildung. Viele Kinder und Jugendliche mit geistigen oder körperlichen Behinderungen besuchen eine spezielle Förderschule. Manche Inklusionsbefürworter fordern nun die Abschaffung dieser Förderschulen. Alle Kinder und Jugendliche sollen die Regelschulen besuchen. Damit das gelingt, sollen angeblich drei zusätzliche Wochenstunden sonderpädagogischer Begleitung genügen, das meint zumindest der Berliner Inklusionsbeirat. Das ist eine Illusion, die der Sache nicht gerecht wird. Denn Inklusion bedeutet ja nicht, dass Menschen mit Behinderung einfach in ein bestehendes System eingebunden werden, sondern wenn man Inklusion will, dann muss man kritisch fragen: Was muss sich ändern, damit Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Für die Schulpolitik hieße dann Inklusion: Deutlich kleinere Klassen, ein höherer Personalschlüssel, mehr sonderpädagogisches Fachpersonal, Fort- und Weiterbildung für das Lehrpersonal der Regelschule, eine Überarbeitung der Lehrpläne an den Hochschulen und schließlich erhebliche Investitionen in Schulgebäude. Kosten und Mühe wären lohnend, denn hier geht es um die zu gestaltende Zukunft unserer Gesellschaft. Aber finanziell ist das ein Milliardenprojekt. Und das in Zeiten riesiger Einsparungszwänge der öffentlichen Kassen von Ländern und Kommunen. Allein die Kommunen in Nordrhein-Westfalen haben einen Schuldensstand von fast 50 Milliarden Euro. Die Politik begibt sich auf ein dünnes Eis, wenn sie in dieser Situation Inklusion fordert, aber kein Geld für deren Umsetzung zur Verfügung stellt.
Um von dieser finanziellen Ohnmacht abzulenken, greift die Politik zur rhetorischen Figur des Appells. Appelliert wird an uns Bürger, sich für eine Kultur der Anerkennung und Gastfreundschaft einzusetzen. Inklusion wird zu einer Frage der zivilgesellschaftlichen „Haltung“. Das ist ja nicht verkehrt, aber die Gesellschaft will auch politische Taten sehen.
Die Bergepredigt schildert, wie Jesus in einem Dialog, in dem es um das Schwören geht, sehr davon abrät mit den Worten: Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein, was darüber ist, ist von Übel. Ein biblisches Wort zur Klarheit und Wahrheit. Ein inklusionspolitisches ja, aber, hilft niemandem, am wenigsten den Menschen mit Behinderung.